Wirecard: Warum legt man die Karten nicht auf den Tisch?
Kritische Medienberichte zum Geschäftsgebaren von Wirecard gibt es mittlerweile in großer Zahl und die Zahl wächst weiter. Die neueste der kritischen Veröffentlichungen kommt von der „WirtschaftsWoche”, die zur Handelsblatt Media Group gehört. Spoiler: Komplett neu sind die Geschichten nicht, mit denen sich das Autorenduo Melanie Bergermann und Volker ter Haseborg in ihrem Beitrag (Paywall) beschäftigt. Vor allem in Asien ist man auf Spurensuche gegangen und hier insbesondere an Orten, die sich immer wieder als Brennpunkt in den Aktivitäten von Wirecard und kritischen Berichten darüber zeigen: Dubai, wo Wirecards hoch profitable Tochter Card Systems Middle East ihren Sitz hat, Indien und Singapur zum Beispiel.
Die Namen, um die es geht, sind ebenfalls bekannt: Al Alam zum Beispiel, deren Hintermänner ein großes Geheimnis zu sein scheinen und deren Rolle für Wirecard bis heute nicht so gut geklärt ist, dass Al Alam einfach kein Thema mehr ist. Daran hat auch ein vermeintlicher „Transparenzanfall” Wirecards nichts geändert, in dem das Unternehmen die Abläufe von Transaktionen eben am Beispiel von Al Alam erklärt hat. Zentrale Fragen zur Identität der Geschäftspartner oder auch die Rolle von Oliver Bellenhaus und seiner Geschäftspartner sind damit aber längst nicht geklärt. Zumindest nicht so zufriedenstellend, dass sie keinen Grund für investigative Recherchen und Shortattacken gegen Wirecard mehr bieten.
Es zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte Wirecards: Das Unternehmen betont zwar stets, Transparenz verbessern und leben zu wollen. Erste Fortschritte sind in jüngster Zeit auch durchaus zu sehen, das muss man dem Unternehmen fairerweise attestieren. Doch wer tiefer zu Wirecard recherchieren möchte, trifft immer noch recht schnell auf Schweigen. Nicht nur bei Wirecard, sondern auch bei den Geschäftspartnern wie eben Al Alam. Beispielhaft ist das Ende des Berichts in der „WirtschaftsWoche”, wo das Autorenduo vom Aufeinandertreffen mit einer jungen Frau bei Al Alam berichtet. Herein gelassen hat sie die Journalisten nicht, bat stattdessen um ein Anfrage. „Sie schließt sorgfältig die Tür und reicht wenig später ihre Visitenkarte durch den Türspalt, die sie als „Office Manager“ ausweist. Auf die Anfrage reagiert sie nicht. Auch auf einen umfangreichen Fragenkatalog hat Al Alam nicht geantwortet”, schließt der Bericht in der „WirtschaftsWoche”.
Auch das ist nur ein Beispiel, in zahlreichen anderen - teils für Wirecard bedeutenden - Geschäften gelingt es ebenfalls nicht, so viel Licht ins Geschehen zu bringen, dass diese einfach kein Thema mehr sind. Der Kauf der Great Indian Retail Group durch Wirecard ist so ein Fall. Viel wurde hierzu berichtet, viel hat Wirecard dazu gesagt. Aus der Öffentlichkeit verschwunden ist das Thema bisher dennoch nicht, wie die „WirtschaftsWoche” in ihrem Bericht zeigt und den Finger in eine Wunde legt, die Wirecards Aktienkurs immer wieder Abstürze und Shortattacken einbringt: Intransparenz bei den Geschäften und viel zu viele offene Fragen.
Dass Wirecard mit solchen Intransparenzen und - nennen wir es einmal - „sonderbaren Geschäftsgebaren” wie im Zusammenhang mit dem Great Indian Retail Group-Deal an der Börse nicht allein ist, steht außer Frage. Und dass ausgerechnet der Fintech-Konzern so stark im Fokus der Berichte steht, hat auch etwas mit Aufmerksamkeitsökonomie zu tun. Wann immer ein Bericht zu Wirecard auftaucht, ist höchste Aufmerksamkeit garantiert. Wirecards Erfolgsgeschichte an der Börse, die im September 2018 mit einem Allzeithoch bei 199 Euro und der DAX-Aufnahme gekrönt wurde, hat Scharen von Tradern, Anlegern und Glücksrittern angezogen, die nervös an ihrem Investment hängen. Im Hintergrund wird dazu fleißig Material durchgesteckt - sicher nicht immer frei von Interessen.
Eine solche Gemengelage findet sich selten, weshalb Wirecard in den Medien (und auch bei Shortsellern) eine so bedeutende Rolle spielt. Anleger werden sich damit abfinden müssen. Sie werden es in ihre Überlegungen, ob sie bei Wirecard Geld investieren wollen, einbeziehen müssen. Für die Lösung des Problems könnte Wirecard übrigens selbst sorgen und endlich die Karten auf den Tisch legen. Warum dies bisher nicht gelungen - und vielleicht auch gar nicht gewollt - ist, muss Wirecard selbst erklären. Oder die Aktionäre fragen einfach mal hartnäckiger nach als bisher. Schließlich ist es ihr Unternehmen, das sich seit September 2018 im Wert fast halbiert hat.