Epigenomics: Die allerletzte Chance
Es ist nicht das erste Mal, dass Epigenomics und ihr Darmkrebs-Bluttest Epi proColon am Scheideweg stehen. Vor allem in den USA gab es immer wieder Rückschläge, der Weg war holprig - nicht nur bis zur FDA-Zulassung, die schließlich im April 2016 kam. Rund viereinhalb Jahre später ist Epigenomics in den USA immer noch nicht am Ziel, Epi proColon als einen der Standard-Tests in den USA für die möglichst frühe Diagnose von Darmkrebs-Erkrankungen etabliert zu haben.
Im Gegenteil: Seit Samstag ist man diesem Ziel so weit entfernt wie lange nicht mehr. Die staatliche US-amerikanische Krankenversicherung Centers for Medicare & Medicaid Services (CMS) verweigert die Kostenübernahme und hat einen negativen Erstattungsvorschlag im Zusammenhang mit der National Coverage Determination des Darmkrebs-Bluttests Epi proColon veröffentlicht. Dabei hat sich die Krankenkasse nicht generell gegen Bluttests ausgesprochen - im Gegenteil. Dennoch fiel der Test von Epigenomics durchs Raster der Entscheider. Ohne Kostenerstattung aber ist Epi proColon quasi zum Scheitern verurteilt.
Es seien frustrierende Stunden gewesen seit der CMS-Entscheidung, sagt Epigenomics-Chef Greg Hamilton am Dienstagnachmittag in einer Telefonkonferenz. Der Schock hält nach, denn der drohende Misserfolg von Epi proColon in den USA bringt die Berliner Gesellschaft in Existennot. Das Geld wird - wieder einmal - knapp. Bis ins erste Quartal halten die Liquiditätsreserven des Diagnostik-Unternehmens noch. Per Ende September kommt man auf 6,6 Millionen Euro an liquiden Mitteln. Nicht viel, trotz eines Anstiegs von 0,3 Millionen Euro im Vergleich zu Ende September 2019. Doch dazwischen gab es Kostensenkungen angesichts der Corona-Pandemie und vor allem zwei Kapitalerhöhungen im November 2019 und März 2020, jeweils zu 1,11 Euro je neuer Epigenomics Aktie. Deren Erlöse von insgesamt mehr als 12 Millionen Euro sind quasi komplett aufgebraucht.
Andere Geldquellen sind rar. Umsatz macht Epigenomics kaum, ganze 0,5 Millionen Euro in den ersten neun Monaten 2020. Unter dem Strich stehen 9,1 Millionen Euro Verlust, auf EBITDA-Basis sind es 8,2 Millionen Euro. Immerhin hat man - wie Hamilton in der Telefonkonferenz verrät - weiter die Unterstützung der Großaktionäre. Allen voran ist das die Deutsche Balaton, die 16,22 Prozent an dem Diagnostik-Unternehmen hält, 9,66 Prozent liegen bei Bridger Healthcare. Zwei weitere Ankeraktionäre liegen bei mehr als 5 Prozent. An den Investoren könnte es nun hängen, ob Epigenomics noch einmal eine Chance bekommt - es könnte die allerletzte sein.
Epigenomics CEO Greg Hamilton. Bild und Copyright: Epigenomics
Die letzte Chance für Epigenomics hängt aber nicht nur am Geld, sondern auch an der US-Krankenversicherung. Deren Entscheidung, die Epigenomics am Wochenende meldete, ist erst einmal vorläufig. Eine 30-tägige Kommentarfrist, an der sich auch die Öffentlichkeit beteiligen kann, schließt sich nun an. Anschließend ist binnen weiterer 60 Tage eine endgültige Entscheidung der CMS fällig - spätester Stichtag ist laut Epigenomics der 14. Januar 2021, dann endet die Frist.
In der Telefonkonferenz gibt sich Hamilton - was bleibt dem Epigenomics-CEO auch anderes übrig - kämpferisch. Hoffnungen setzt das Unternehmen vor allem auf die Daten eines Mikrosimulationsmodells, das die Vorteilhaftigkeit von Epi proColon bei der Senkung der Todeszahlen in Zusammenhang mit Darmkrebs wissenschaftlich nachweise. In die Entscheidung der CMS ist das Modell aber nicht eingeflossen, im Gegensatz zu anderen Entscheidungen aus früheren Zeiten bei anderen Erstattungsfällen. Warum, ist unklar. Hier will Hamilton ansetzen. Klinische und wissenschaftliche Beweise seien auf der Seite von Epigenomics, sagt Hamilton und fordert von der CMS, dass das Mikrosimulationsmodell Teil der Diskussionen sein müsse.
Ob sich die Entscheider in den USA darauf einlassen, ist offen. Lassen sie sich nicht umstimmen, müssen und wollen die Berliner in ein langwieriges Berufungsverfahren, falls dies finanziell dann noch zu stemmen ist. Spätestens dann ist man auf die „Gnade” der Investoren angewiesen, denn dieses Verfahren wird weit über das erste Quartal 2021 hinaus gehen. Es wird eng, oder, wie Hamilton es in der Konferenz sagte: Die staatliche US-amerikanische Krankenversicherung habe die Gesellschaft in eine schwierige Situation gebracht. Ob „schwierig” in diesem Fall auch „unlösbar” heißt, dürfte spätestens Mitte Januar des kommenden Jahres feststehen.