ZEW-Umfrage: Erholung für deutsche Wirtschaft nicht in Sicht - Nord LB
Heute Vormittag hat das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) aktuelle Ergebnisse seiner monatlichen Konjunkturumfrage unter Finanzmarktexperten veröffentlicht. Die Konjunkturerwartungen für Deutschland haben sich im September erneut deutlich verschlechtert und liegen bei nur noch 3,6 Saldenpunkten. Zugleich wird die aktuelle Lage mit einem Rückgang auf -84,5 Punkte fast einhellig als schlecht bewertet. Zuletzt wurde die gegenwärtige Konjunkturlage im Mai 2020 schlechter beurteilt.
Die Einschätzungen zu den Konjunkturperspektiven im Euroraum haben sich ebenfalls eingetrübt, liegen aber über dem Wert für Deutschland. Vor allem die aktuelle Lage wird weniger schlecht beurteilt, wobei der Saldo mit -40,4 Punkten auch hier inzwischen klar im negativen Bereich liegt. Dennoch zeichnet die Umfrage das gleiche Bild wie die meisten Konjunkturindikatoren: Bei der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hinkt Deutschland dem übrigen Euroraum inzwischen mit deutlichem Abstand hinterher.
Ein erneuter Rückgang hatte sich nach den ebenfalls wenig erbaulichen Umfragedaten von sentix bereits angekündigt, das Ausmaß der erneuten Stimmungseintrübung überrascht dennoch. Zwar mag die mäßige Aktienmarktperformance im laufenden Monat – der DAX prallte zum Monatsanfang an der Marke von 19.000 Punkten ab – einen zusätzlichen Einfluss auf die Stimmung der Finanzmarktexperten gehabt haben. Vor allem hat aber zuletzt eine ungewöhnliche Dichte von negativen Nachrichten aus den deutschen Unternehmen die Schlagzeilen beherrscht. Stellenabbau, Standortschließungen, Insolvenzen – auch wenn dies nur anekdotische Evidenz ist, werden so die zuvor eher abstrakten Strukturprobleme der deutschen Wirtschaft und die Konjunkturschwäche nun für viele Menschen greifbarer und spürbar.
Die deutsche Wirtschaft leidet derzeit unter einer ganzen Reihe von Belastungsfaktoren, die sich in der Summe als ein regelrechter Stimmungskiller erweisen. Geopolitik, Deglobalisierung, Demographie, Nachfrageschwäche und Investitionsstau stellen gerade das deutsche Wachstums- und Wohlstandsmodell mit seiner hohen Industrie- und Exportabhängigkeit vor große Herausforderungen. Es sind aber nicht mehr nur strukturelle Faktoren, die belasten. So sind die gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten in Deutschland inzwischen deutlich unterausgelastet.
Von der Fiskalpolitik sind derzeit keine Impulse für eine grundlegende Revitalisierung der deutschen Wirtschaft in Sicht. Fatal ist das aktuelle Ausmaß des Pessimismus, denn die Stimmung ist aktuell sogar noch schlechter als die objektive Konjunkturlage. Dies bremst Investitionen und die Konsumlaune, so dass die schlechte Stimmung ohne Gegenmaßnahmen zur Self-Fulfilling Prophecy zu werden droht.
Die erneute Zinssenkung der EZB im September war lange eingepreist und hat daher keinen erkennbaren Einfluss auf die Konjunkturstimmung gehabt. Angesichts der konjunkturellen und strukturellen Probleme in Deutschland müsste die EZB schon die Erwartungen übertreffen, um als Stimmungsaufheller wirken zu können. Allerdings sprechen hiergegen die bislang solideren Wirtschaftsdaten im übrigen Euroraum sowie der noch immer hartnäckige binnenwirtschaftliche Inflationsdruck, vor allem im Bereich der Dienstleistungspreise. Es bräuchte wohl deutlichere Signale eines breiten Konjunktureinbruchs im gesamten Währungsraum, damit die EZB schon im Oktober erneut die Zinsen senkt.
Fazit: Die Konjunkturstimmung in Deutschland hat sich weiter eingetrübt. Die vom ZEW befragten Finanzmarktexperten beurteilen im September die Konjunkturerwartungen deutlich schlechter als im Vormonat. Die aktuelle Lage wird gar so schlecht wie zuletzt im Mai 2020 bewertet – als die Wirtschaftsleistung während des ersten Lockdowns im historischen Ausmaß eingebrochen war. Trotz der bestehenden strukturellen und konjunkturellen Probleme Deutschlands scheint die Stimmung schlechter zu sein als die Lage. Damit hieraus keine Self-Fulfilling Prophecy wird, benötigt die deutsche Wirtschaft dringend einen Schub. Allerdings zeichnet sich dies derzeit weder von der weltwirtschaftlichen Nachfrage noch von Seiten der Fiskal- oder Geldpolitik ab.
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