EZB wählt „dovish hike“ – Zinsgipfel erreicht, keine schnelle Senkung - Nord LB

Die Europäische Zentralbank hat auf ihrer heutigen Sitzung ihre Leitzinsen erneut um jeweils 25 Basispunkte angehoben. Der relevante Einlagesatz steigt damit auf einen Rekordwert von 4,00%, der Hauptrefinanzierungssatz auf 4,50%. Eine Anpassung im Statement macht die heutige Entscheidung jedoch zu einem „dovish hike“. Die Leitzinsen dürften nun ein Niveau erreicht haben, „das – wenn es lange genug aufrechterhalten wird – einen erheblichen Beitrag zu einer zeitnahen Rückkehr der Inflation auf den Zielwert leisten wird.“
Die heutige EZB-Entscheidung ist sicher eine der spannendsten der vergangenen Jahre gewesen. Zinsanhebung oder Zinspause? Sowohl Märkte als auch Volkswirte waren sich so unsicher wie selten zuvor. Hintergrund war die in den vergangenen Wochen verzeichnete überraschend deutliche Eintrübung des konjunkturellen Umfelds, während allerdings zumindest bis zum August die Inflationsdaten recht hartnäckig geblieben sind. Immerhin scheint allmählich aber auch die Kernrate zu sinken.
Mit der Entscheidung, die Leitzinsen im September nochmals um 25 Basispunkte anzuheben, haben sich die Falken im Rat durchgesetzt. Allerdings zu einem hohen Preis, wie nicht anders zu erwarten war. Auf Basis der neuen Guidance spricht viel dafür, dass bei Ausbleiben starker Überraschungen die EZB-Leitzinsen nun ihren zyklischen Hochpunkt erreicht haben. Der Rat wird sich nun darauf konzentrieren, die Erwartungen dahin zu kanalisieren, dass dieses Zinsniveau lange Bestand haben wird und Zinssenkungsphantasien nicht zu früh aufkommen zu lassen.
An den Finanzmärkten ging es für den Euro und die Renditen langlaufender Staatsanleihen – abwärts! Der Euro rutschte unter die Marke von 1,07 USD, die Rendite deutscher Bundesanleihen mit zehnjähriger Laufzeit sank zeitweise in Richtung 2,55%. Dies erscheint nur auf den ersten Blick widersinnig. Vielmehr war genau hiermit zu rechnen gewesen, preisen doch die Märkte nun die Möglichkeit weiterer Zinsanhebungen vollständig aus. Angesichts der Marktreaktionen müssen sich die Falken die Frage gefallen lassen, ob nicht eine „hawkishe Zinspause“ mit tightening bias besser gewesen wäre als ein „dovisher hike“.
Es spricht viel für eine Art Torschlusspanik bei den Falken. Offenbar befürchteten einige, dass man Ende Oktober die Zinsen nicht nochmals hätte anheben können. In der Tat schließt sich das Tor für Zinsanhebungen nun zügig. Die neue Konjunkturprognose der EZB ist für 2023 mit +0,7% noch immer zu optimistisch, und im September wird die Inflationsrate nach unten fallen. So haben die Falken im Rat den sprichwörtlichen Spatz in der Hand der Taube auf dem Dach vorgezogen. Viel mehr als ein Artefakt – höchster Einlagesatz aller Zeiten – hat man angesichts der Marktreaktionen damit aber nicht gewonnen.
Nach Lagardes Aussage wurde der heutige Beschluss von einer „soliden Mehrheit“ unterstützt. Wurde der Kurs der EZB bis zur heutigen Sitzung von einem breiten Konsens getragen, zeigt der heutige teure Kompromiss doch unübersehbar zunehmende Meinungsverschiedenheiten. Wir rechnen mit keiner weiteren Zinssteigerung, und auch ein Antasten der bisherigen PEPP-Reinvestment-Politik halten wir für unwahrscheinlich. Bei den Kapitalmarktzinsen ist daher die Luft für weitere Anstiege dünn geworden.
Fazit: Die EZB erhöht das zehnte Mal in Folge ihre Leitzinsen und schraubt den Einlagesatz auf ein Rekordniveau von 4,00%. Damit setzten sich die Falken in der Frage Zinspause oder Zinserhöhung durch, allerdings auf Kosten einer starken Vorfestlegung, dass der Zinsgipfel voraussichtlich erreicht sein dürfte. Ob dieser „dovishe hike“ besser dem Erreichen des Inflationsziels dient als eine hawkishe Zinspause, beantworten die Märkte mit schwächerem Euro und niedrigeren Kapitalmarktzinsen. Vorerst dürfte die EZB nun geradeaus fahren. Und auch, wenn es die EZB noch so lang wie möglich hinauszögern möchte, von nun an wird allenthalben über den Zeitpunkt des nächsten Zinsschritts spekuliert werden – und dieser Zinsschritt wird aller Voraussicht nach eine Zinssenkung sein. Vor Mitte 2024 ist damit aber nicht zu rechnen.
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