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Wirecard-Skandal und der DAX: Warum die Deutsche Börse handeln sollte - Kommentar

25.06.2020 07:31 Uhr - Autor: Michael Barck  auf twitter

Das Beispiel Wirecard hat gnadenlos aufgedeckt: Das „System DAX“ belohnt spekulative Blasen, mehr noch, fördert diese sogar. Bild und Copyright: Deutsche Börse.

Eine der meistgestellten Fragen im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal lautete in den letzten Tagen: „Wann wirft die Deutsche Börse AG Wirecard endlich aus dem DAX?“ So einleuchtend die Forderung angesichts des milliardenschweren Bilanzskandals bei dem Konzern aus Aschheim auch ist, so unerfüllbar ist diese Forderung kurzfristig. Der Grund hierfür ist das Regelwerk der Deutsche Börse AG für die DAX-Familie. Und der Wirecard-Skandal ist eine gute Gelegenheit, diese Regeln zu überdenken.

Aber fangen wir vorne an. Um in den DAX zu kommen, gibt es neben einer fortlaufenden XETRA-Notierung, einem Mindest-Freefloat von 10 Prozent und einem juristischen Sitz oder operativen Hauptquartier in Deutschland nicht viele Voraussetzungen: Die jeweilige Aktie des Unternehmens muss im Prime Standard notiert sein und ist sie dies, zählen allein die Höhe der Marktkapitalisierung – maßgeblich ist hier allein der free float – sowie der Handelsumsatz in dem betreffenden Anteilschein. Erfüllt man in beiden Kennzahlen die Entry-Regeln, kommt man in den DAX. Es sind also insgesamt rein quantitative Kriterien, die über die Index-Zugehörigkeit entscheiden.

Das bringt potenzielle Probleme mit sich und das Beispiel Wirecard hat diese gnadenlos aufgedeckt. Das „System DAX“ belohnt spekulative Blasen, mehr noch, fördert diese sogar. So kletterte Wirecards Aktienkurs unter anderem aufgrund der absehbaren Aufnahme in den DAX im Sommer 2018 auf 199 Euro. Es war kein Zufall, dass der Aktienkurs des Skandal-Konzerns rund um die Bekanntgabe der DAX-Aufnahme sein Allzeithoch erreichte. Die Börse hatte in den Wochen davor exakt darauf spekuliert.

Was das „System DAX“ nicht belohnt, ist gute Corporate Governance – oder noch deutlicher: Was es nicht bestraft, ist schlechte Corporate Governance. Das überlässt die Deutsche Börse allein dem Markt und der ist immer wieder mal unzuverlässig. Die Erfahrung zeigt nämlich: Spekulative Blasen sind keine Seltenheit an der Börse. Wirecard war eine solche milliardenschwere spekulative Blase, trotz aller Warnungen, die seit Jahren zu diesem Unternehmen zu hören waren, die aber verhallten.

Damit steht das System der Index-Aufnahme diametral zu dem, was viele Anleger im DAX sehen: Den wichtigsten Qualitätsindex des Frankfurter Aktienmarktes. In den DAX wird viel mehr hineininterpretiert als die Deutsche Börse derzeit mit der bloßen Reihenfolge in einer schnöden Excel-Tabelle liefert. Eine DAX-Zugehörigkeit wird noch immer als Qualitätsmerkmal angesehen. Das hat Folgen: Altersvorsorge in Aktien geschieht zum Beispiel oft auf Basis von indexorientierten Fonds.

Nun ist der Weg, den Markt entscheiden zu lassen und das Resultat von Kursbildung in Form von Börsenkapitalisierung und Handelsumsatz über DAX oder nicht DAX entscheiden zu lassen, kein grundsätzlich falscher Weg. Aber ist es auch der ideale Weg? Der Weg, den die Deutsche Börse aktuell geht, ist zumindest der einfache Weg. Aber der Fall Wirecard zeigt, dass man es sich vielleicht zu einfach macht, sich komplett auf quantitative Kriterien zu setzen und qualitative Kriterien außen vor zu lassen, vor allem was Fast-Exit-Regeln angeht.

Die große Frage ist: Wie definiert man solche qualitativen Kriterien? Eine weitergehende öffentliche Debatte dieser Frage ist nötig. Aber auch hier bildet das Regelwerk der Deutschen Börse bereits mögliche Eckpfeiler für schnell einzuführende erste qualitative Fast-Exit-Regelungen, über die letztendlich ein Arbeitskreis Indizes entscheiden könnte, um unverschuldete Härten abzufedern. Diese betreffen unter anderem eines der wichtigsten Ergebnisse guter Corporate Governance: Eine zeitnahe, transparente und uneingeschränkt testierte Bilanz. Zu den Folgepflichten für Emittenten gehört zum Beispiel, die testierte Bilanz des vorangegangenen Geschäftsjahres binnen der ersten vier Monate des aktuellen Geschäftsjahres vorzulegen.

Wirecard, schon immer im Vergleich zu anderen DAX-Konzernen sehr spät dran in Sachen Bilanz, hat diese Regel dieses Jahr gebrochen – da notierte die Aktie noch bei 90 Euro, obwohl das Desaster sich bereits abzeichnete. Auch das wäre zwar spät gewesen, doch besser spät als nie und vielleicht auch ein Weckruf für viele Anleger. Wirecard notiert übrigens trotz des Regelbruchs weiter im Prime Standard und ist weiter DAX-Mitglied. Letzteres wahrscheinlich noch bis September, dann entscheidet wieder eine Excel-Tabelle.

Dass vor Betrug niemand, auch kein Aktienindex, gefeit ist, ist unbestritten – auch das zeigt das Beispiel Wirecard, wo es lange uneingeschränkt testierte Bilanzen gab, die dem Konzern den Weg in den DAX mitebneten. Aber wir an der Börse könnten es den „bad guys“ doch bitte so schwer wie möglich machen. Das ist sicherlich auch die Verantwortung von Anlegern und Analysten, Medien und Wirtschaftsprüfern. Qualitative Kriterien für die Zugehörigkeit zu dem wichtigsten Aktienindex eines Finanzplatzes gehören aber ebenso dazu – als eine von vielen Maßnahmen, die nun auf den Wirecard-Skandal folgen müssen. Der Druck auf Unternehmen, gute Corporate Governance abzuliefern, muss steigen – gerade auf solche, die eine exponierte Stellung in den Indizes genießen. Indexanbieter wie die Deutsche Börse müssen ihren Teil hierzu beitragen.

Links mit weiterführenden Informationen zum Thema:

Leitfaden zu den Aktienindizes der Deutsche Börse AG (PDF-Datei)
Folgepflichten für Emittenten nach dem Börsengang

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