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Wirecard Aktie kaufen oder nicht kaufen? Der Faktencheck zu vielen offenen Fragen…- Update 22.06. - 14.50 Uhr

22.06.2020 00:20 Uhr - Autor: Michael Barck  auf twitter

Faktencheck zu wichtigen offenen Fragen rund um die Wirecard Aktie und das operative Geschäft des Payment-Dienstleisters. Bild und Copyright: Wirecard.

Update vom 22. Juni 2020, 14:50 Uhr: Seit heute Nacht scheint klar: Die von Wirecard als vermisst gemeldeten 1,9 Milliarden Euro haben wohl nie existiert und die tatsächlichen Zahlen im Drittpartnergeschäft sind wohl geringer als von Wirecard bilanziert - wie stark die Abweichungen sind, hat Wirecard in der heute Nacht veröffentlichten Ad-Hoc nicht gemeldet. Die Entwicklung, die erst nach Publikation dieses Faktenchecks bekannt wurde, verschärft die Lage des Unternehmens weiter und dürfte vor allem in Bankenkreisen nicht gut ankommen. Damit wird es zunehmend unwahrscheinlicher, dass die Kreditgeber den noch im DAX-notierten Konzern weiter stützen werden. Bis zu diesem Augenblick gibt es aber keinerlei endgültige Entscheidungen, die Verhandlungen laufen.

Wirecard sorgt an der Börse weiter für Aufregung. Die Bilanz wurde nicht testiert, der unklare Verbleib von 1,9 Milliarden Euro an Treuhandguthaben wird zunehmend mysteriöser und die Wirecard Aktie ist am Donnerstag und Freitag ins Bodenlose gefallen. Über das Unternehmen hat sich ein Sturm der Entrüstung entladen. Zurück bleiben viele verunsicherte Anleger, die hohe Geldsummen mit Wirecards Aktien und fragwürdigen Kaufempfehlungen für Wirecard Aktien aus dem Internet verloren haben.

Der Faktencheck zu wichtigen offenen Fragen rund um die Wirecard Aktie und das operative Geschäft des Payment-Dienstleisters.

Ist das alles nur eine Verschwörung der Shortseller gegen Wirecard?
Lange Zeit war es eine beliebte Theorie, von der großen Verschwörung angelsächsischer Shortseller gegen einen deutschen „Tech-Star” zu reden. Doch nach den Entwicklungen der letzten Tage kann diese Verschwörungstheorie mit Blick auf die Faktenlage getrost beerdigt werden.

Soll ich die Wirecard Aktie jetzt kaufen, weil der Aktienkurs so billig geworden ist?
Billig heißt an der Börse nicht automatisch günstig. Das gilt auch für die Wirecard Aktie, die seit dem Allzeithoch bei 199 Euro auf bis zu 19,26 Euro am Freitag gefallen ist und damit rund 90% Wertverlust in der Spitze zu verzeichnen hat.

Selbst wenn die Faktenlage zu einem Unternehmen völlig klar ausfällt, ist eine treffende Aktienkursprognose eine schwierige Aufgabe. Wenn dann aber die Faktenlage so völlig unklar ist wie bei Wirecard derzeit, wird die Bewertung eines Unternehmens quasi zur Kaffeesatzleserei. An zu vielen Stellen sind derzeit unbekannte Größen im Spiel, sind keine belastbaren Zahlen vorhanden und lässt sich nicht einschätzen, welche Einflüsse die jüngsten Entwicklungen auf das operative Geschäft der Aschheimer entwickeln werden. Seriöse Schätzungen sind aktuell vor diesem Hintergrund schlicht und einfach nicht möglich. Eine ganze Reihe von Aktienanalysten hat aus diesem Grund die Einstufungen für Wirecard Aktien ausgesetzt - selbst solche Häuser, die auch zuletzt noch Kursziele deutlich oberhalb der Kursniveaus vor dem Crash am Donnerstag ausgaben. Mit entsprechender großer Vorsicht sind also derzeit im Internet kursierende Wertansätze für die Wirecard Aktie zu genießen.

Kurzfristig ist mit weiterhin hoher Volatilität beim Aktienkurs zu rechnen.

Kann die Wirecard Aktie im DAX und im Prime Standard bleiben?
Das dürfte zwar Wirecards derzeit kleinste Sorge sein, ist aber nicht minder interessant für den Aktienkurs. In den letzten Tagen waren immer wieder Forderungen in Medien und Börsenboards zu lesen, dass Wirecard aus dem DAX geworfen werden solle. Doch so einfach ist das nicht. Die Deutsche Börse als entscheidende Stelle für die Zusammensetzung des DAX wendet quantitative Kriterien bei der Index-Zusammensetzung an - Marktkapitalisierung des Freefloats und Handelsumsatz. Ein entscheidender Faktor könnte an dieser Stelle aber die Zugehörigkeit der Wirecard Aktie zum Prime Standard werden, die wiederum Voraussetzung für eine DAX-Zugehörigkeit ist. Zu den Folgepflichten der Emittenten im Prime Standard gehört, dass die Übermittlung des Jahresfinanzberichts innerhalb von vier Monaten nach dem Ende des Berichtszeitraums zu erfolgen hat und die Übermittlung der Quartalsmitteilung innerhalb von zwei Monaten nach dem Ende des Mitteilungszeitraums - zwei Kriterien, die Wirecard mit der weiter fehlenden Bilanz für 2019 und dem Zwischenbericht zum ersten Quartal 2020 schon jetzt nicht mehr erfüllen kann. Noch ist offen, welche Konsequenzen das haben wird.

Nach dem drastischen Kursverfall ist aber davon auszugehen, dass die Wirecard Aktie in den kommenden Monaten aus dem DAX herausgenommen wird - sofern sich der Aktienkurs nicht ebenso drastisch schnell wieder erholt und der Anteilschein weiter im Prime Standard notiert bleibt.


Wie ernst ist die Lage für Wirecard wirklich?
Die Lage für das Unternehmen ist sicherlich nicht hoffnungslos, aufgrund der fehlenden Gelder und des Vertrauensverlustes aber enorm ernst. Nicht nur, dass eine Abschreibung der 1,9 Milliarden Euro fehlenden Treuhandguthabens überwiegende Teile von Wirecards Eigenkapital (2,3 Milliarden Euro laut Neunmonatsbilanz) aufzehren würde. Vielmehr drohen auch Liquiditätsprobleme, sollten die Banken zukünftig doch noch den „Stecker ziehen” und Wirecards Kreditlinien fällig stellen. Nicht vergessen werden darf in diesen Zusammenhang auch die Position der Kundeneinlagen aus dem Bankgeschäft, die in der Neunmonatsbilanz 1,72 Milliarden Euro bei einer Gesamtbilanzsumme von rund 7 Milliarden Euro ausmachten. Sollten Kunden angesichts der Krise des Konzerns Gelder abziehen, könnte auch dies Wirecard in zusätzliche Schwierigkeiten bringen. Der Konzern hatte zuletzt aggressiv mit Einlagenzinsen von 0,75 Prozent aufs Girokonto um Gelder vor allem von Kunden „klassischer” Banken geworben.

Dazu kommt, dass die Refinanzierung durch den Bilanzskandal erheblich erschwert ist. Eine Deckung eventuell auftretender Liquiditätslücken über den Kapitalmarkt dürfte für das Unternehmen auf absehbare Zeit aufgrund des drastischen Vertrauensverlustes nur sehr schwer und mit hohen Risikoaufschlägen bei den Zinsen bzw. drastischen Abschlägen beim Bezugspreis und damit hohen Verwässerungseffekten für derzeitige Anteilseigner möglich sein - falls überhaupt.

Nicht zuletzt droht dem Konzern eine milliardenschwere Klagewelle von geschädigten Anlegern, die über Jahre hinaus hohe finanzielle Risiken für das Unternehmen bedeuten werden - ebenso droht dies übrigens der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY für ihre Testate früherer Wirecard-Bilanzen.

Wo sind die 1,9 Milliarden Euro?
Das wüsste jeder gerne, allen voran Wirecards Aktionäre. Nach aktueller Informationslage scheint es Fakt zu sein, dass die Summe auf keine der Konten bei den beiden philippinischen Großbanken liegt, wie Wirecard es behauptet hat. Mittlerweile heißt es von Seiten der Zentralbank des asiatischen Landes, dass die Summe nie in das Land geflossen sein. Wo sich das Geld derzeit befindet und ob die Summe überhaupt (noch) in der Form tatsächlich existiert oder ob es sich hier um einen „Luftbetrag” handelt, ist völlig unklar. Der Treuhänder soll zudem mittlerweile auf Tauchstation gegangen sein, so gelang zum Beispiel dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel” keinerlei Kontaktaufnahme.

Wozu wird diese Liquidität im operativen Geschäft von Wirecard überhaupt benötigt?
Unternehmen wie Wirecard und deren Wettbewerben (u.a. Adyen) nehmen vor allem im Internet-Shopping eine zentrale Rolle ein. Sie sorgen in erster Linie für den Geldfluss zwischen Käufern und Händlern. Hiermit und mit zusätzlichen Dienstleistungen um dieses Payment herum, wie zum Beispiel den Bonitätsbewertungen von Kunden während des Bezahlvorgangs in einem Internetshop, verdient Wirecard Geld. Mit Geldern auf Treuhandkonten sichert Wirecard über seine Tochtergesellschaften für die Händler Risiken ab, die sich aus dem Management der Zahlungsströme ergeben könnten.

Ist Wirecards Banklizenz gefährdet?
Eine offene Frage, von der BaFin als Aufsichtsbehörde gab es hierzu bisher noch keinen konkreten Kommentar. Wirecards Geschäftsgebaren trägt allerdings nicht gerade zur Sicherung der Lizenz bei. Der Behörde stehen allerdings außer dem Lizenzentzug noch andere mögliche Sanktionsmittel zur Verfügung. Auf der Internetseite der BaFin heißt es hierzu: „Maßnahmen zur Gefahrenabwehr reichen dabei von schriftlichen Abmahnungen – sogenannten gravierenden Beanstandungen – über Bußgelder bis hin zum Entzug der Erlaubnis zum Betreiben von Bankgeschäften und dem Schließen der Geschäftsräume (sog. Moratorium)”. Zudem kann die BaFin Sonderprüfungen anordnen - auch als „Überraschungsbesuch”.

Welche Folgen hätte ein eventueller Entzug der Banklizenz für Wirecard?
Wirecards Banktochter hält eine Vollbanklizenz, die eine wichtige operative Grundlage für das Geschäft von großen Teilen der Unternehmensgruppe darstellt - vom Zahlungsverkehr über die eigenen Banking-Angebote bis hin zu White-Label-Lösungen des Konzerns für andere Anbieter. Ein Entzug der Banklizenz könnte also eine neue existenzgefährdende Entwicklung für Wirecard bedeuten und würde auch die vielen Tausenden Kunden treffen, die Wirecards Dienstleistungen zur Zahlungsabwicklung im Online-Geschäft nutzen. In einigen Märkten, wo Wirecard keine eigene Banklizenz besitzt, nutzt das Unternehmen Kooperationslösungen mit Lizenzinhabern.

Wie verhalten sich die Wirecards Kreditgeber?
Letzten Informationen zufolge befindet sich Wirecard und das Kreditgeber-Konsortium in Verhandlungen. Theoretisch könnten die Kreditlinie seit dem 19. Juni aufgrund der Verstöße Wirecards gegen die Kreditbestimmungen gekündigt werden. Doch in der Regel verzichten Banken darauf, diese Option sofort zu ziehen. So scheint es auch im „Fall Wirecard” zu sein. Wie die Verhandlungen des Unternehmens aus Aschheim mit den Finanziers aber ausgehen, ist offen. Damit ist derzeit alles möglich - vom Fälligstellen der Kredite, was Stand heute der eher unwahrscheinlichere Fall ist, bis hin zu neuen, deutlich härteren Kreditkonditionen, die zumindest Wirecards Profitabilität belasten würden.

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