Nord LB – Chinesischer Aktienmarkt: Baisse ohne Ende?
Während sich der Fokus der Marktteilnehmer in der Eurozone auf die Nachrichtenlage zum griechischen Schuldenstreit richtet, sorgen sich die Anleger im Reich der Mitte zunehmend um die Entwicklungen am chinesischen Aktienmarkt. Der Shanghai Composite knickte seit seinem diesjährigen Höchststand am 12. Juni um 24,3% ein. Im heutigen Handel rutschte der Leitindex sogar unter die psychologisch wichtige Marke von 4.000 Zählern. Damit steht fest: Was vor wenigen Wochen als Kurskorrektur begann, hat sich zu einer Baisse entwickelt.
Insbesondere die augenscheinliche Tatsache, dass die jüngsten Lockerungen der PBOC nahezu verpufft sind, muss schon als bedrohliche Entwicklung gewertet werden. Zwar hat Peking noch vor der Baisse das Ziel verfolgt, Spekulationen am Aktienmarkt einzudämmen – insbesondere die Käufe von Dividendenpapieren auf Pump (sog. Margin Debt Käufe) waren den Aufsehern ein sprichwörtlicher Dorn im Auge. Allerdings geht die jüngste Abwärtsbewegung weit darüber hinaus, was die Zentralregierung im Sinn gehabt haben dürfte.
Auch volkswirtschaftlich gehen vom Aktienmarkt nunmehr signifikante Risiken aus. Dies gilt z. B. für den Umbau des Wachstumsmodells hin zu einer regeren Binnennachfrage. Nachhaltige Vermögensverluste bei den privaten Haushalten können sich demnach als Stolperstein für den Einzelhandel erweisen. Darüber hinaus ist die gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Finanzmarktes im Reich der Mitte nicht zu unterschätzen. Vorerst halten wir an unserer Prognose eines BIP-Wachstums von 7,0% im laufenden Jahr fest, sehen hier aber ein erhöhtes Abwärtsrisiko.
Tatsächlich dürfte auch die aktuelle Entwicklung in der Eurozone auf die Stimmung am chinesischen Aktienmarkt geschlagen haben. Insbesondere dann, wenn sich die Investoren auf die Suche nach sicheren Anlagen bewegen, spricht das für eine geringere Liquidität am chinesischen Aktienmarkt. Zwar gilt es dabei zu bedenken, dass die Festlandbörsen noch weit davon entfernt sind, frei zugänglich für ausländische Investoren zu sein. Allerdings hat Peking zuletzt die strengen Beschränkungen stetig gelockert. Darüber hinaus erhielten zudem immer mehr chinesische Anleger die Möglichkeit, außerhalb Chinas zu investieren.
Nach unserer Einschätzung wäre es noch äußerst verfrüht, eine chinesische Finanzkrise an die Wand zu malen. So gibt es einige Faktoren, die dafür sprechen, dass sich der Shanghai Composite im weiteren Jahresverlauf wieder erholen dürfte. Beispielsweise könnte die Aufnahme des Renminbi in die Sonderziehungsrechte des Internationalen Währungsfonds die Nachfrage nach Assets in China perspektivisch erhöhen. Weitere Öffnungsschritte am Finanzmarkt, eine – auch von uns erwartete – Stabilisierung der konjunkturellen Verfassung Chinas sowie der Umbau des Wachstumsmodells sprechen schon für die Attraktivität der Papiere. Profitieren sollte der Aktienmarkt zudem von einer nach wie vor möglichen Lösung im griechischen Schuldenstreit sowie von einer robusteren konjunkturellen Verfassung wichtiger Handelspartner wie z. B. Japan und die USA.
Fazit: Der chinesische Aktienmarkt musste trotz geldpolitischer Lockerungen weiter erhebliche Verluste hinnehmen. Der jüngste Einbruch – bei dem der Shanghai Composite Index unter die psychologisch wichtige Marke von 4.000 Zählern gerutscht ist – geht wohl weit über das hinaus, was Peking durch regulatorische Verschärfungen erreichen wollte. Auch wenn weitere Verluste nicht auszuschließen sind, ist es jedoch unseres Erachtens noch zu früh, um eine Finanzkrise Made in China an die Wand zu malen.