Deutsche Wirtschaft schrammt an technischer Rezession vorbei - Nord LB
Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden hat heute Vormittag eine erste vorläufige Schätzung zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts im ersten Quartal 2022 veröffentlicht. Demnach ist die deutsche Wirtschaft zum Jahresauftakt leicht gewachsen und damit knapp an einer technischen Rezession vorbeigeschrammt. Das preis-, saison- und kalenderbereinigte BIP legte gegenüber dem Vorquartal um 0,2% Q/Q zu. Die Jahresrate notiert bei 3,7% Y/Y bzw. unbereinigt bei 4,0%. Dies entspricht in etwa den Erwartungen der zuvor von Bloomberg befragten Volkswirte und Analysten.
Immerhin kehrte die deutsche Wirtschaft nach dem BIP-Rückgang im Schlussquartal 2021 zu einem leichten Wachstum zurück. Insgesamt setzte sich aber die gedämpfte Entwicklung der Wirtschaftsleistung in den ersten drei Monaten dieses Jahres fort. Wesentliche Ursachen hierfür waren die Belastungsfaktoren Corona-Pandemie und seit Ende Februar der Krieg in der Ukraine. Dies spiegelt sich nur zum Teil in der Entwicklung der BIP-Komponenten wider. Zwar wurden wie üblich heute noch keine Details der Verwendungsseite durch Destatis veröffentlicht. Nach Angaben der Statistiker gingen aber vor allem von den Investitionen positive Wachstumsimpulse aus, während die Nettoexporte negativ zum BIP-Wachstum beitrugen.
Trotz allmählicher Lockerungen der Coronamaßnahmen dürfte der private Konsum kaum expandiert haben. Hier gegen spricht auch die massive Verschlechterung des Verbrauchervertrauens nach dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine und dem damit verbundenen massiven Inflationsschub. Das Verbrauchervertrauen ist nach Schätzungen der GfK im Mai auf ein Rekordtief abgesackt, die Konsumentenstimmung ist demnach noch stärker eingebrochen als zu Beginn der Pandemie. Auch im Handel verschlechterte sich das Geschäftsklima zuletzt, hier sind die Belastungen der hohen Inflation und erste Lieferprobleme bereits spürbar.
Die ursprünglich für das Frühjahr aufgrund abnehmender Corona-Einschränkungen erwartete kräftige konjunkturelle Belebung wird nun durch die Kriegsauswirkungen konterkariert. Zwar hat sich die Stimmung in der deutschen Wirtschaft im April überraschend etwas erholen können. Dies hat aber den massiven Einbruch des Sentiments im März bei weitem nicht aufwiegen können, die wichtigsten Frühindikatoren notieren aufgrund der russischen Aggression seither erheblich niedriger. Die Investitionsneigung dürfte in dem von großer Unsicherheit geprägten Umfeld spürbar abnehmen. Zudem sind weitere Eskalationen des Konflikts jederzeit möglich, insbesondere ein möglicher Lieferstopp beim Gas würde die wirtschaftlichen Perspektiven massiv belasten. Für 2022 halten wir an unserer Prognose für das BIP-Wachstum von 1,8% fest, das Vorkrisenniveau wird erst in der zweiten Jahreshälfte erreicht. Für die EZB gibt es keinen Grund, nun nicht zügig und entschieden den Gefahren für die Preisniveaustabilität zu begegnen und die Geldpolitik zu normalisieren.
Fazit: Die deutsche Wirtschaftsleistung ist zum Jahresauftakt leicht gewachsen. Das reale Bruttoinlandsprodukt legte im ersten Quartal um 0,2% gegenüber dem Vorquartal zu. Die Corona-Pandemie sowie ab Ende Februar der Krieg in der Ukraine waren wesentliche Belastungsfaktoren. Während der Außenbeitrag gebremst hat, trugen die Investitionen zum Wachstum bei. Hier dürfte die Dynamik aufgrund der deutlichen Eintrübung des Investitionsklimas jedoch schon bald spürbar zurückgehen. Die Unternehmen kämpfen mit Belastungen durch den Energiepreisschub sowie durch neue Liefer- und Materialengpässe. Auch vom privaten Konsum ist trotz Corona-Lockerungen kurzfristig kein nennenswerter Wachstumsschub zu erwarten, hohe Inflation und Ukrainekrieg wirken stark dämpfend auf das Verbrauchervertrauen. Für 2022 halten wir daher an unserer BIP-Prognose von 1,8% fest, wobei die konjunkturelle Entwicklung sehr stark von den kaum zu prognostizierenden weiteren Entwicklungen im Konflikt mit Russland abhängt.
Disclaimer: Dieser Text ist eine Kolumne der Nord LB. Der Inhalt der Kolumne wird von 4investors nicht verantwortet und muss daher nicht zwingend mit der Meinung der 4investors-Redaktion übereinstimmen. Jegliche Haftung und Ansprüche werden daher von 4investors ausdrücklich ausgeschlossen!