Nord LB: China - Wachstumsrate der Industrieproduktion sinkt auf Finanzkrisenniveau
Die chinesischen Statistikbehörden veröffentlichen durchaus regelmäßig auch am Wochenende Konjunkturzahlen. Daher kommt es nicht selten vor, dass in diesen Monaten die betroffenen Indikatoren bei den Marktteilenehmern sprichwörtlich unter den Tisch fallen. Dies gilt sicherlich nicht für die Zahlen zur Industrieproduktion, die das National Bureau of Statistics in Peking am vergangenen Samstag vorgelegt hat.
Das Wachstum der Industrieproduktion sank im Berichtsmonat August unerwartet stark auf nur noch 6,9% Y/Y. Bei diesem Wert ist ohne Umschweife von einer negativen Überraschung zu sprechen (NORD/LB-Prognose: 8,9% Y/Y, Bloomberg 8,8% Y/Y). So schwach legte die Industrieproduktion der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft zuletzt vor mehr als fünf Jahren zu. Die asiatischen Aktienmärkte reagierten entsprechend verstört auf die Zahlen aus China. Der Rückprall der Zeitreihe auf das Niveau der globalen Finanzkrise hat zudem das Potenzial, nicht nur in Asien für Verkaufsstimmung zu sorgen.
Nach den schwachen Importzahlen aus der vergangenen Woche und den jüngsten Angaben zur Immobilienpreisentwicklung verschärft sich damit das Bild einer zu schwachen Binnenaktivität. Für weniger Aufsehen sorgten hingegen die Angaben zur Entwicklung der Einzelhandelsumsätze im Berichtsmonat August. Mit 12,1% Y/Y präsentierte sich die Zuwachsrate auf Vormonatsniveau und damit weitestgehend im Rahmen der Erwartungen.
Die Entscheidungsträger in Peking mögen die Zahlen zur Industrieproduktion vielleicht sogar als Weckruf verstehen. Für einige Marktbeobachter sind die Angaben Anlass genug, dass die chinesische Zentralbank von der vergleichsweise restriktiven Geldpolitik abrückt. Auch wenn wir noch nicht mit Übersprunghandlungen rechnen, hat die Wahrscheinlichkeit von Senkungen der Mindestreserveanforderungen für Großbanken zugenommen. Anpassungen bei den Leitzinsen halten wir – trotz der aktuell niedrigen Teuerungsrate – aber für eher unwahrscheinlich.
Sicherlich kommt es in den kommenden Tagen und Wochen auch darauf an, wie sehr sich Premierminister Li Keqiang dem BIP-Wachstumsziel von 7,5% für das laufende Jahr verpflichtet sieht. Nach unserer Einschätzung wird man in Peking aber vor allem auf die wichtigen Themenfelder Arbeitsmarkt und Bankensektor fokussieren. Die Entscheidungsträger haben zuletzt immer häufiger die Bedeutung der Beschäftigung im Reich der Mitte hervorgehoben. Sollten sich hier dramatische Entwicklungen abzeichnen, dürfte Peking vergleichsweise schnell reagieren. Mit Blick auf den Bankensektor werden die Entscheidungsträger nach unserer Einschätzung auf Kennzahlen wie die Non-Performing Loans fokussieren und auch hier im Bedarfsfall zeitnah Hilfestellung geben.
Fazit:
Das Wachstum der Industrieproduktion im Reich der Mitte ist unerwartet schwach ausgefallen. Für Peking kann diese Entwicklung ein Stück weit als Weckruf verstanden werden. Insbesondere auf Seiten der chinesischen Zentralbank hat die Wahrscheinlichkeit von Lockerungsmaßnahmen zugenommen. Die Entscheidungsträger der Zentralregierung dürften sich in Bezug auf weit greifende Konjunkturmaßnahmen vorerst eher zurückhalten. Insbesondere der Arbeitsmarkt und die Stabilität des Finanzsektors dürften jetzt in Peking aber unter noch strengerer Beobachtung stehen.