Wirecard und die Übernahmegerüchte: Was ist dran? - Faktencheck
Der Crash der Wirecard Aktie ließ - wie so oft in vergleichbaren Fällen - ein neues Gerücht entstehen. Der Konzern könne jetzt vor einer Übernahme stehen, wo die Aktie im Vergleich doch so billig geworden sei. Im reinen Kurs-Vergleich ist sie das, zumindest oberflächlich betrachtet: Bei 199 Euro wurde im September 2018 kurz vor der Aufnahme der Wirecard Aktie in den DAX das Allzeithoch notiert. Gestern ging der immer noch im DAX befindliche Titel mit 14,44 Euro aus dem Handel, zuvor wurde ein neues Crash-Tief im XETRA-Handel bei 12,995 Euro notiert. Mehr als 90 Prozent an Wert gingen verloren. Doch das allein macht die Wirecard Aktie noch lange nicht tatsächlich günstig und den Konzern noch lange nicht zum Übernahmekandidaten - ein Faktencheck.
Wer könnte Wirecard übernehmen?
Theoretisch wäre Wirecard auf dem jetzigen Bewertungsniveau von nur noch rund 1,6 Milliarden Euro für die „Großen” der Branche nur ein kleiner Happen. Kapitalkräftige Konzerne mit Wachstumsinteressen gibt es in der Branche mehr als genug. Ob der Happen aber schmackhaft oder im Halse des Käufers steckenbleiben würde, ist indes eine andere Frage - mehr dazu später. Mit dem extrem hohen Streubesitz bei Wirecard wäre eine Übernahmeofferte zumindest rein theoretisch möglich und die meisten der Anleger dürften froh sein, auf einem solchen Weg aus der Nummer raus zu kommen.
Ist Wirecard jetzt nicht billig genug für eine Übernahme?
Dieser Annahme liegt zugrunde, dass frühere Kurse für Wirecard berechtigte Höhen hatten und der Kurssturz seit dem Top aus dem Jahr 2018 bei 199 Euro für eine Unterbewertung gesorgt hat. Aber hat er das tatsächlich? Mit den jüngsten Enthüllungen rund um Wirecard, den fehlenden 1,9 Milliarden Euro Treuhandguthaben, dem offenbar künstlich aufgeblasenen Volumen im Drittpartnergeschäft, dem zerstörten Vertrauen und nicht zuletzt der potenziellen Liquiditätskrise, falls Banken die Kredite fällig stellen, muss man hinter der Behauptung „Wirecard ist aktuell unterbewertet” mindestens ein großes Fragezeichen setzen. Angesichts der vielen großen Unsicherheiten rund um die Faktenlage beim Gesamtkonzern scheint eine seriöse Bewertung derzeit schlicht und einfach nicht möglich zu sein. Diese wäre aber die Grundlage für eine Offerte.
Was spricht gegen eine Übernahmeofferte?
Man muss hier trennen: Zum einen zwischen dem Wirecard-Konzern als Ganzes, zum anderen zwischen den einzelnen Tochtergesellschaften. Letztere könnten für Käufer durchaus interessant sein. Wirecard gilt - bei allen derzeitigen Vertrauensproblemen - in der Branche als technologisch hervorragend und hat viele, zum Teil große Kunden, hierzulande zum Beispiel der Lebensmittel-Discounter Aldi. Das macht die operativen Aktivitäten des DAX-Konzerns zumindest in Teilen durchaus interessant. Doch muss man dazu gleich den Gesamtkonzern erwerben?
Die Antwort lautet ganz klar: Nein, muss man nicht! Der Grund: Man erbt mit einem solchen Kauf auch die ganzen Altlasten - und die sind alles andere als unerheblich. Nur ein Beispiel: Auf Wirecard (und übrigens auch auf dessen Wirtschaftsprüfer EY) rollt eine Klagewelle zu - die nur noch größer wird, wenn auch frühere Bilanzen korrigiert werden müssen. Was das heißt und welche Probleme solche Altlasten mit sich bringen, zeigen Beispiele wie der Kauf von Monsanto durch Bayer oder der „Fall Steinhoff International”, wo ebenfalls ein Bilanzskandal aufgedeckt wurde, unter dessen Folgen unter anderem juristischer Art der Konzern bis heute ächzt. Das schließt nicht aus, dass irgendjemand solche Risiken einzugehen bereit ist, Bayer war es in Sachen Monsanto ja auch. Doch die Wahrscheinlichkeit ist enorm gering - erst recht in der aktuellen Situation, in der niemand mit Sicherheit sagen kann, welche Umsätze und Gewinne Wirecard tatsächlich früher erzielt hat und zukünftig zu erzielen in der Lage ist.
Fazit
Gänzlich ausgeschlossen scheint eine Übernahme von Wirecard zwar nicht, wäre aber mehr ein Sechser im Lotto mit Zusatzzahl. Was dagegen weniger unwahrscheinlich ist: Der Verkauf von Wirecard-Konzernteilen. Der Payment-Dienstleister hat selbst Bereitschaft angekündigt, sich von Teilen der Aktivitäten trennen zu wollen, ohne dabei konkreter zu werden. Da Investoren aber wohl kaum an den skandalgeplagten Geschäftsbereichen Interesse haben, könnte ein solcher „Ausverkauf” gesunder Konzernteile dies wie eine schleichende Aushöhlung Wirecards wirken.