Knaus Tabbert: „Das I-Tüpfelchen sind die einzigartigen Menschen“

In den vergangenen zwölf Monaten hat die Aktie von Knaus Tabbert um rund 75 Prozent zugelegt. Das Interesse an Wohnwagen, Wohnmobilen und Campervans bleibt hoch, wie Vorstandschef Wolfgang Speck im Gespräch mit der Redaktion von 4investors.de bestätigt. Das hat man zuletzt auf der Campermesse in Düsseldorf gemerkt. Knaus Tabbert arbeitet an höheren Kapazitäten, gleichzeitig steht das Thema Elektromobilität im Fokus der Arbeiten. Man erschließt neue Zielgruppen und geht dazu im Vertrieb verschiedene Wege. Im Interview äußert sich Speck auch zur Prognose und zur Internationalisierung der Gesellschaft. Angesprochen werden ferner die Stärken der Gesellschaft und die stärkere Unabhängigkeit von den Chassis-Lieferanten.
4investors.de: Die Campingmesse in Düsseldorf ist zu Ende. Das Besucherinteresse war sehr hoch. Schlägt sich das in den Auftragsbüchern nieder?
Speck: Das Interesse am Caravaning bleibt hoch. Die Messeveranstalter zählten dieses Jahr fast 20.000 Besucher mehr als im Vorjahr. In Summe waren es 254.000 Caravaning-Interessierte, die die Messe besuchten. Besonders hervorzuheben ist, dass rund ein Drittel der Besucher zum ersten Mal die Messe besuchten.
Insbesondere freut uns natürlich, dass das Interesse an unseren Fahrzeugen und die Besucherfrequenz in unseren Hallen erneut erfreulich hoch waren. Dies spiegeln auch die stabilen Verkaufszahlen während der Messe wider. Gleichzeitig erleben die Endkunden nach den überhitzten Pandemie-Zeiten und leergekauften Handelsplätzen nun wieder eine angemessene Angebotsvielfalt und akzeptable Lieferzeiten. Wir bewegen uns damit langsam wieder in Richtung Normalität. Das tut allen Marktteilnehmern gut.
4investors.de: Ihre Auftragsbücher sind randvoll. Wird sich diese Entwicklung abschwächen, lässt die Dynamik aufgrund der schwächelnden Wirtschaftssituation nach?
Speck: Ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil ist unser perfekt abgestimmtes Produktportfolio. Andere Anbieter leisten sich 20 oder mehr Marken in ihrem Portfolio. Wir konzentrieren uns auf fünf ikonische Marken – Knaus, Tabbert, Weinsberg, T@B und Morelo, auf die wir unseren ganzen Enthusiasmus und Erfahrung fokussieren. Mit diesen differenzierten und ausbalancierten Marken verfügen wir über ein Portfolio, mit dem wir die meisten Kundenbedürfnisse gezielt abbilden können. In einer Preisspanne bei Reisemobilen, Kastenwagen und Wohnwagen von rund 15.000 Euro bis knapp 1 Million Euro können wir unterschiedlichste Caravaning-Träume erfüllen. Dieser Erfolg ist messbar. Wenn Sie sich ansehen, wer in den Zulassungsstatistiken in Deutschland beziehungsweise Europa ganz vorne steht, dann sind es heute unsere Premiummarken Knaus und Weinsberg. Jede Marke für sich belegt hier Spitzenplätze. Unsere Multi Chassis Strategie hat uns ganz entscheidend geholfen, nun endlich die starke Nachfrage nach unseren Produkten bedienen zu können. Wir verzeichnen seit gut einem Jahr enorme Zuwachsraten beim Absatz und folglich in den Zulassungsstatistiken.
Unsere Branche befindet sich seit über einem Jahrzehnt in einem kontinuierlichen Aufwärtstrend. 2009 wurden in Deutschland knapp über 30.000 Fahrzeuge zugelassen, Ende 2022 waren es knapp 90.000. Die Jahre der Pandemie haben nicht nur für eine gestiegene Nachfrage gesorgt, sondern auch die Reiseform als Ganzes einer gänzlich neuen Zielgruppe nähergebracht. Wir haben letztes Jahr einen enormen Wachstumssprung absolviert. Wir werden dieses Jahr deutlich zweistellig wachsen. Insofern erwarten wir für Knaus Tabbert auch für die kommenden Jahre steigende Absatzmengen.
4investors.de: Finden Sie ausreichend Mitarbeiter für ihre Werke in Bayern und Ungarn?
Speck: Gut ausgebildete und erfahrene Mitarbeiter sind eine wesentliche Voraussetzung für das geplante weitere Wachstum. Gleichzeitig sehen wir jedoch einen Fachkräftemangel speziell auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Deshalb haben wir verschieden Konzepte zur Personalgewinnung sowie zur Aus- und Weiterbildung ins Leben gerufen.
Gemeinsam mit mehreren Wirtschaftsverbänden ist Knaus Tabbert zudem Mitinitiator eines neuen Ausbildungsberufs für die Caravaning Industrie. Ab September 2023 werden die ersten Auszubildenden in rund dreieinhalb Jahren zum „Caravan- und Reisemobiltechniker“ qualifiziert. Damit setzt die Branche verstärkt auf Spezialisten und reagiert damit auf das starke Wachstum als auch auf die zunehmende Komplexität und den steigenden Anteil moderner Technik bei der Entwicklung und Fertigung von Freizeitfahrzeugen, wie Wohnmobilen oder Wohnwagen. Ziel ist es, einen technologisch vielseitigen Allrounder auszubilden, der gleichzeitig Spezialist für alle Bereiche eines Freizeitfahrzeugs ist.
Die letztjährige schwierige Chassisversorgung und daraus resultierende Stillstände in unseren Fabriken haben wir proaktiv genutzt, um unsere Belegschaft auf ein höheres Ausbildungsniveau zu bringen. Anstelle von kurzfristigen Personalanpassungen haben wir uns 2022 für eine Intensivierung der Qualifizierungsmaßnahmen bei vorübergehend nicht benötigten Mitarbeitern entschieden. Ja, diese Maßnahme hat insbesondere im ersten Halbjahr 2022 Geld und Ergebnis gekostet. Es war rückblickend die richtige Entscheidung. Wir haben uns erfahrene Fachkräfte gesichert, vorhandene Arbeitskräfte höher qualifiziert und weitere Fachkräfte für uns gewinnen können. Das sichert uns in 2023 steigende Umsätze und Ergebnisse.
4investors.de: Wie sieht es aktuell mit den Kapazitäten in ihren Werken aus?
Speck: Wir haben seit dem Börsengang über 100 Millionen Euro in den Ausbau der Kapazitäten und in die Qualifizierung von Mitarbeitern investiert. Damit verfügen wir heute über eine Kapazität von rund 35.000 Einheiten. Unser Ziel ist es, die technische Kapazität bis 2027 auf eine Umsatzgröße von rund 2 Milliarden Euro jährlich zu erhöhen. Das entspricht, je nach Produktmix, einer Produktionsmenge von rund 45.000 Einheiten. Wir bleiben gleichzeitig schnell, beweglich, flexibel und anpassungsfähig.
4investors.de: Gibt es im Hinterkopf Überlegungen, ein neues Werk zu errichten?
Speck: Eine wesentliche Stärke ist unser flexibler Produktionsverbund – vor allem zwischen den Standorten in Jandelsbrunn in Deutschland und Nagyoroszi in Ungarn. Wir sind heute in der Lage, nahezu alle Fahrzeugtypen an beiden Standorten zu fertigen. Sei es ein Wohnwagen, ein Wohnmobil oder einen Campervan. Diese Flexibilität hat uns 2022 auch die Möglichkeit gegeben, die Produktion kurzfristig auf Wohnwagen zu konzentrieren. Daher investieren wir ausschließlich an den bestehenden Standorten in multifunktionale Strukturen.
Neben den erwähnten Produktionsstandorten gibt es noch den Standort in Schlüsselfeld für die Marke Morelo. Wir bauen dort zurzeit die Kapazität für Produkte am oberen Ende der Preispanne aus - für Fahrzeuge größer 500.000 Euro. Der Standort Mottgers, an dem mehrheitlich Tabbert Wohnwagen gefertigt werden, ist bereits heute kapazitiv gut aufgestellt.
4investors.de: Auf der Herbstkonferenz vom Equity Forum hat ihr IR-Chef Manuel Taverne vor einem sehr vollen Saal gesprochen. Auf eine genaue Umsatzprognose wollte er sich dort nicht einlassen. Gibt es dafür zu viele Unsicherheiten?
Speck: Wir haben zum Jahresanfang bereits eine sehr klare und positive Prognose für das Jahr 2023 abgegeben. Wir haben immerhin von „signifikanten Umsatzwachstum“ gesprochen und die Spanne der bereinigten EBITDA-Marge zwischen 7,5 Prozent bis 8,5 Prozent gesetzt. Wir haben zudem im ersten Halbjahr 2023 bereits bei Umsatz und Ergebnis Bestwerte geliefert. Zur Messe Düsseldorf haben wir aktuell ein positives Feedback abgegeben.
Wenn ich mir den Konsensus der Analysten anschaue, hat man dort sehr gut verstanden, wo die Reise bei Knaus Tabbert hingehen kann.
4investors.de: Im Bereich der E-Mobilität entwickeln Sie mit HWA ein eigenes Fahrzeug. Was gibt es dort Neues, wann kommt der Wagen auf den Markt?
Speck: Elektromobilität und Leichtbau sind bei uns die Hauptstoßrichtungen in der Entwicklung von Freizeitfahrzeugen der Zukunft. Das Segment der Wohnwagen wird nach unserer Einschätzung das erste Segment sein, das massiv von der „Zeitenwende“ betroffen wird.
Ende des Jahres 2022 waren in Deutschland knapp über eine Million E-Fahrzeuge (BEV) angemeldet. Im Jahr vor der Pandemie, 2019 gerade mal 83.000. Alleine in 2022 wurden in Deutschland 470.000 Elektrofahrzeuge neu zugelassen. Mit Blick auf Anhängerlasten und Reichweiten wird schnell klar, dass hier eine Transformation im Wohnwagenbau erfolgen muss. Wir haben mit dem KNAUS YASEO in Düsseldorf den ersten BEV-tauglichen Wohnwagen präsentiert. 300 Kilogramm leichter bei gleicher Nutzfläche, Karosserie im Windkanal optimiert, gasfrei, bidirektionale Ladetechnik. Dieses Fahrzeug ist epochal und zukunftsweisend. Ich bin davon überzeugt, dass der E-kompatible Wohnwagen diesem Fahrzeugsegment neuen Auftrieb geben wird.
Das elektrische Reisemobil ist die Königsdisziplin unserer Branche. Warum ist das so? Kein aktuell verfügbares Fahrzeug der einschlägigen Chassis OEMs verfügt über Eigenschaften, die es zum idealen Reisemobil qualifizieren. Zu schwer, zu wenig Reichweite, zu teuer, zu wenig Bauraum für die notwendige Haustechnik-Infrastruktur, keine offenen Schnittstellen zur Fahrzeugelektronik. Möglicherweise passt es für einen Kunden aus Berlin Mitte, der an Wochenenden die Seen in Brandenburg erkunden will. Für die Familie aus Kiel auf dem Weg nach Kroatien reichen die Urlaubstage vermutlich nur für An- und Abreise und dem Camping-Erlebnis neben der Ladesäule.
So stellen wir uns bei Knaus Tabbert nicht die Elektromobilität im Reisemobilbau vor. Daher gehen wir eigene Wege. Unser gemeinsam mit HWA entwickeltes Fahrzeug ist zugelassen und auf öffentlichen Straßen auf Erprobungsfahrt. Wir haben das REX-Konzept überarbeitet und befinden uns in einer Phase des Projektes, in der wir uns intensiv mit der Auswahl industrieller Partner beschäftigen, die uns in der Serienproduktion begleiten können. Wir werden rechtzeitig über die Markteinführung berichten.
4investors.de: Sie arbeiten auch an einer elektrischen Caravanachse. Wie ist hier der Stand der Dinge?
Speck: Unsere E-Power-Achse ist elementarer Bestandteil unserer E-Power-Wohnwagenstrategie. Die Achse ist entwickelt, funktionserprobt und befindet sich bei den einschlägigen Behörden in der Genehmigungsphase. Sie vereinigt elektrischen Antrieb und rekuperativen Generator in einem. Mit anderen Worten: Sie macht aus einem 1,5 Tonnen Wohnwagen aus PKW-Sicht durch den regulierbaren Eigenantrieb eine gefühlt 100 Kilogramm Anhängerlast und sie erzeugt auf der Bergabfahrt Strom, der aus der eigenen Speicherbatterie heraus vielfältig genutzt werden kann.
4investors.de: Im Vermietmarkt für Campervans sind Sie sehr aktiv. Was haben Sie letztlich davon?
Speck: Zum Erfolg der Marke gehört auch eine erfolgreiche Positionierung im digitalen Geschäft. Durch ein ganzheitliches, umfassendes Vermiet-Ökosystem mit dem im Markt einzigartigem RENT AND TRAVEL-Buchungssystem erreicht Knaus Tabbert drei Zielgruppen und unterstützt den Aufbau und die Bindung langfristiger Kundenbeziehungen.
Erstens den Neukunden für die Vermietung, zweitens den Kaufinteressenten sowie drittens den gewerblichen Vermieter. Über RENT AND TRAVEL werden Neukunden gewonnen, zu Mietern gemacht, an die Marken gebunden und durch unterschiedliche Maßnahmen begleitet, bis sie möglicherweise zu Käufern werden. Über die Vermietsoftware und das Vermieterprogramm werden Vermieter gewonnen und dadurch der Fahrzeugverkauf zusätzlich unterstützt. In Ergänzung zu den branchenüblichen Akquise-Kanälen arbeitet Knaus Tabbert dabei auch mit Reisebüros zusammen. Damit ist die Gruppe dort vertreten, wo viele potenzielle Neukunden bei ihrer Urlaubsplanung erreichbar sind. Die RENT AND TRAVEL-Plattform ist ein hervorragendes Marketinginstrument, um den etablierten Kundenstamm der Knaus Tabbert Gruppe um neue Kundengruppen zu erweitern. Dabei kreiert Knaus Tabbert zudem eine hohe Visibilität bei potenziellen Endkunden. Nutzungsprofile, Reiseverhalten und Wünsche hinsichtlich Produktlayouts sind wertvolle Daten zur Optimierung zukünftiger Produkte und Dienstleistungen.
4investors.de: Früher haben Sie bei den Plattformen vor allem auf Fiat Ducato/Stellantis gesetzt. Jetzt haben Sie auch VW, MAN, Mercedes und Ford an Bord geholt. Wird sich die Zahl der Zulieferer im Chassis-Bereich noch vergrößern?
Speck: Die wichtigste Entscheidung im Zusammenhang mit den Lieferschwierigkeiten der letzten 24 Monate war, dass wir uns bei den Chassis-Lieferanten unabhängiger gemacht haben. Das heißt, wir haben uns mit zusätzlichen Partnern breiter aufgestellt. Diese neuen Lieferanten waren in der Lage, ab dem dritten Quartal 2022 in hohen Mengen zu liefern.
Aktuell sehe ich uns, auch im Branchenvergleich, mit diesen Partnern bestmöglich aufgestellt. Final ist das jedoch auch eine Entscheidung des Kunden bzw. der Nachfrage. Insofern müssen wir flexibel bleiben.
4investors.de: Sie wachsen 2023 deutlich, während ihre Konkurrenz teils um 20 Prozent schrumpft. Wie kommt das?
Speck: Wir haben vor Jahren angefangen an einzelnen Puzzlesteinen unserer Strategie zu arbeiten, die wir nun schrittweise sehr erfolgreich zu einem einheitlichen Ganzen zusammensetzen. Im Zentrum steht sicherlich das Produkt. Ein kraftvolles Marketing und eloquentes Handelsnetz alleine reichen nicht. Was wäre Apple ohne das Iphone? Das Produkt muss begeistern. Es muss qualitativ hochwertig sein. Es muss eine Designsprache sprechen, die mehr als nur zeitgemäß ist, sondern zukunftsweisend. Es muss kompatibel sein zu unseren Ansprüchen hinsichtlich Technologie und Digitalisierung. Es muss gleichzeitig Raum bieten für Träume, Abenteuer, Romantik, Familie, Zweisamkeit und Geborgenheit.
Produkt, Händlernetz, Markenwelt, Messeauftritte, Technologie, Kultur, etc. etc. Es muss einfach alles stimmen und perfekt aufeinander abgestimmt sein. Dann kann es erfolgreich sein. Vielleicht kann man das ein oder andere auch kopieren. Das I-Tüpfelchen sind jedoch die einzigartigen Menschen bei Knaus Tabbert. Und die kann man nicht kopieren.
4investors.de: Europa ist ihr Hauptmarkt, Sie sind aber jetzt auch in Malaysia aktiv. Wie sehen die dortigen Pläne aus?
Speck: In der ASEAN Region wohnen ca. 700 Millionen Menschen. Alleine Indonesien ist das Land mit der viertgrößten Bevölkerung weltweit. Malaysia bietet uns beste Voraussetzungen, ASEAN auf der Beschaffungs- und Absatzseite besser zu erschließen. Existente Märkte liegen vor der Haustüre. Süd-Korea ist bereits heute ein wichtiger Absatzmarkt. Australien ist ein gut entwickelter Markt. In Malaysia selbst haben wir als erster ausländischer Hersteller Fahrzeuge homologiert. Singapur ist einer der größten Seehäfen der Welt. Ein Großteil des Welthandels passiert die Straße von Malakka, direkt vor der Haustüre Malaysias. Wir sind gerade dabei, uns dort optimal zu positionieren und das Geschäft sukzessive auszubauen. Sicherlich stehen am Anfang vertriebliche Strukturen im Mittelpunkt unserer Strategie und dann könnte es sich weiter entwickeln über Logistikkonzepte hin zur lizensierten Fertigung.
4investors.de: Sind chinesische Mitbewerber für Knaus Tabbert ein Thema?
Speck: Nein. China ist im Caravaning weder Chance noch Risiko.