DAX: Deutsche Wirtschaft durch Ukrainekrieg im Transformationsmodus - Nord LB
Nach nunmehr zwei Monaten Ukraine-Krieg mit verheerenden Verlusten und Schäden scheint kein schnelles Ende dieses Konfliktes in Sicht. Teilweise sehr kontrovers geführte Diskussionen um weitere Sanktionen des Westens gegenüber Russland offenbaren die hohen Abhängigkeiten – insbesondere der deutschen Volkswirtschaft – von russischen Energielieferungen. Ließen sich Kohle und Erdöl wohl noch vergleichsweise zügig substituieren, stellt der Ersatz von Erdgas ein gravierendes Problem dar. Ein abrupter, kompletter Verzicht auf russische Erdgaslieferungen dürfte mit erheblichen Produktionseinschränkungen und weiteren Lieferkettenstörungen einhergehen und damit das exportorientierte Geschäftsmodell Deutschlands gefährden. Gleichzeitig hat eine Vielzahl westlicher Unternehmen einen Rückzug von Geschäftsaktivitäten in Russland bekannt gegeben, was je nach Betroffenheit beträchtliche Bremsspuren in den Bilanzen hinterlassen wird.
Zudem führten Meldungen aus China um rigorose Lockdown-Maßnahmen im Rahmen der Null-Covid-Strategie im Raum Shanghai zu zusätzlichen Produktions- und Lieferengpässen. Vor diesem Hintergrund, aber auch angesichts erhöhter Transportkosten und geopolitischer Risiken werden bisherige Lieferverflechtungen stärker in Frage gestellt. Einer aktuellen Befragung des Ifo-Institutes folgend beabsichtigt daher fast jedes zweite deutsche Industrieunternehmen, Importe aus China zu reduzieren. Ziel ist dabei, in Zukunft diversifizierter und damit resilienter aufgestellt zu sein. Neben dem Aufbau von Lagerkapazitäten – von „Just-in-Time“ hin zu „Just-in-Case“ – rechnen wir in den kommenden Jahren mit einer Zunahme von Produktionsverlagerungen und sogenannten Greenfields nach Europa. Erste prominente Beispiele wurden mit Intel und den LNG-Terminals bereits kürzlich bekannt gegeben. Dieses durch Strukturwandel, knappe Ressourcen und Lieferengpässe gezeichnete Umfeld dürfte zu einer verringerten Wachstumsdynamik der Weltwirtschaft und zu verstärkten inflatorischen Effekten führen. Während die Fed bereits den Pfad einer restriktiveren Geldpolitik eingeschlagen hat, ziert sich die EZB aktuell noch. Wir erwarten jedoch nach einem Rückfahren der laufenden Ankaufprogramme die ersten Zinsschritte ab der zweiten Jahreshälfte 2022.
Die europäischen Aktienmärkte konnten sich trotz dieser Nachrichtenlage bisher recht wacker behaupten. Temporär deutliche Kursverluste (von fast 20%) seit Jahresbeginn sind inzwischen teilweise wieder aufgeholt werden. Neben attraktiven Dividendenzahlungen und überwiegend soliden Geschäftsmodellen lockten niedrige Einstandsniveaus insbesondere risikobereite Investoren an. Wir gehen weiterhin davon aus, dass die zahlreichen Belastungsfaktoren europäische Unternehmen stärker treffen werden als Titel in Nordamerika. Für die europäischen Aktienmärkte rechnen wir – je nach Nachrichtenlage – mit einer volatilen Seitwärtsbewegung. Für 2022 sollten die Gewinnerwartungen für europäische Werte in Summe die Gewinnniveaus von 2021 nicht übertreffen.
Fazit: Pandemie und Ukrainekrieg läuten die inzwischen viel zitierte Zeitenwende ein, die ein erhebliches Umdenken in Politik und Wirtschaft erfordert. Das Szenario eines schnellen Endes Ukrainekrieges bleibt u.E. unwahrscheinlich. Zudem ist davon auszugehen, dass Sanktionen des Westens gegenüber Russland über längere Zeit Bestand haben werden. Daher wird der ohnehin angestrebte Umbau der Energieversorgung nochmals beschleunigt werden müssen. Für europäische Unternehmen besteht die Herausforderung, sich vor dem Hintergrund gestresster Lieferketten, knapper Ressourcen und geopolitischer Risiken strategisch neu aufzustellen. Trotz positiver Zahlen zum Ifo-Geschäftsklima reagierte der Aktienmarkt eher verhalten. Zudem dürfte für die Aktienmärkte der Gegenwind durch Inflation und erwartete Zinssteigerungen etwas stärker werden.
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