ZEW-Umfrage: Finanzexperten verabschieden sich von lupenreiner V-Erholung - Nord LB Kolumne
Heute Vormittag hat das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) die Ergebnisse seiner monatlichen Umfrage unter Volkswirten, Analysten und Fondsmanagern veröffentlicht. Im Juli hat sich demnach die Konjunkturstimmung unter den Finanzmarktexperten nicht weiter verbessern können. Im Vergleich zum Vormonat gingen die Konjunkturerwartungen für Deutschland von 63,4 auf 59,3 Saldenpunkte leicht zurück. Die Experten blicken damit aber noch immer recht optimistisch auf die Entwicklung in den kommenden sechs Monaten.
Die aktuelle konjunkturelle Situation wird hingegen etwas besser als in den Vormonaten bewertet. Ein Wert von -80,9 Saldenpunkten für die Lagekomponente ist jedoch noch immer ein historisch extrem schlechter Wert und belegt, dass die Belastungen durch den Pandemieschock in weiten Teilen der Wirtschaft nur sehr langsam überwunden werden. In der Summe fallen die heutigen Ergebnisse der ZEW-Umfrage enttäuschend aus, zumindest hatten die im Vorfeld befragten Analysten und Volkswirte mit einer etwas positiveren Entwicklung gerechnet. Für den ohnehin heute unter Druck stehenden Aktienmarkt stellen die Zahlen somit eine zusätzliche Belastung dar.
Die Entwicklung der Pandemie wird weiterhin den Takt an den Finanzmärkten vorgeben, und diesbezüglich sind die jüngsten Infektionszahlen aus den USA alles andere als eine Beruhigung. Auch Rückschläge in Form neuer Erkenntnisse zur Entwicklung und Wirksamkeit von Impfstoffen haben zuletzt für einige Ernüchterung gesorgt. Andererseits könnte ein Durchbruch bei der Entwicklung eines Medikaments oder Impfstoffes zu einem „Game Changer“ für die Märkte werden.
Insgesamt scheinen sich auch die Finanzexperten mehr und mehr von dem Bild einer lupenreinen V-Erholung in Europa zu verabschieden. Zwar ist die wirtschaftliche Aktivität hierzulande im Mai sprunghaft wieder angezogen, dieses hohe Anfangstempo der Erholung hat sich jedoch bereits wieder etwas verlangsamt. Hierfür sprechen die jüngsten Signale hochfrequenter Konjunkturindikatoren. Für das zweite Quartal ist weiterhin mit dem stärksten BIP-Rückgang seit dem Zweiten Weltkrieg und im Gesamtjahr 2020 mit einem BIP-Minus von voraussichtlich rund -7% zu rechnen.
Die EZB wird diese Woche im Kampf gegen die Krisenfolgen wohl nicht noch einmal nachlegen. Nachdem im Juni u.a. das PEPP hinsichtlich Laufzeit und Volumen deutlich ausgeweitet worden war, besteht kurzfristig kein weiterer Handlungsbedarf. Gleichwohl ist bis zum Jahreswechsel mit weiteren Maßnahmen zu rechnen, wobei Belastungen des Finanzsektors durch einen Anstieg der Insolvenzraten sowie durch Ratingverschlechterungen stärker in den Fokus rücken dürften. So sollte vor dem Hintergrund der hohen Überschussliquidität das Tiering der EZB zugunsten der Kreditinstitute neu kalibriert werden, also der Faktor auf das jeweilige Mindestreservesoll erhöht werden. Auch sollte die EZB prüfen, ob die komfortablen Konditionen der TLTRO III-Geschäfte nach der erfolgreichen Operation im Juni (TLTRO III.4) zeitlich über die Jahresmitte 2021 hinaus verlängert werden können. Das PEPP dürfte um den Jahreswechsel nochmals ausgeweitet werden. Angesichts der Tiefe der Krise und der anhaltend hohen Unsicherheit werden das Niedrigzinsniveau und die außergewöhnlichen geldpolitischen Maßnahmen noch eine geraume Zeit Bestand haben.
Fazit: Die Konjunkturstimmung der Finanzexperten hat sich im Juli nicht weiter verbessert. Die ZEW-Konjunkturerwartungen gingen leicht auf 59,3 Punkte zurück, während die aktuelle Lage nur minimal besser beurteilt wird. Der anfängliche Optimismus der Finanzexperten auf eine schnelle und lupenreine V-Erholung weicht offenbar einer etwas vorsichtigeren Einschätzung. Vor allem die neue Infektionswelle in mehreren US-Staaten wird offenbar auch an den Finanzmärkten mit wachsender Sorge gesehen. Die EZB wird diese Woche wohl noch nicht nachlegen, hat aber einige Themen auf dem Tisch liegen, um die Belastungen des Finanzsektors zu senken und den Kreditmotor am Laufen zu halten.