Über die Lufthansa, „wahre Werte“ und „verrückte Märkte“ ... - Börse München Kolumne
Immer wieder faszinieren uns die Titelblätter der fast gleichzeitig erscheinenden Wochenzeitschriften Börse Online und Focus Money als eifrige Seismographen der jeweils aktuellen Börsenstimmung. „6 wahre Werte“ titelte Börse Online und verweist auf Aktien, die nach dem Kurseinbruch nun günstig gekauft werden sollten. So konkret will sich Focus Money nicht festlegen und berichtet dafür über „Verrückte Märkte – Verrückte Chancen“. Und fragt unter anderem „Lufthansa auf All-Time-Low - jetzt einsteigen?“ Wenn Sie fliegen wollen, können Sie das mit dem Einsteigen allerdings vergessen – die meisten Flieger bleiben derzeit am Boden!
„Das tut weh“
Bleiben wir bei der deutschen Fluglinie: Die Diskussion um staatliche Hilfe und/oder Beteiligung geht weiter. Laut Börsen-Zeitung (8.5.) soll es sich um ein Rettungspaket in Höhe von 9 Milliarden Euro handeln. Ob als Kredit oder stille Beteiligung ist aber noch immer nicht ausgemacht. Deshalb warnt Focus Money Anleger davor, jetzt einzusteigen, so lange nicht feststeht, inwieweit der Staat mitmischt. Merke: Wenn der Staat mitfliegt, sollte man als Anleger eher außen vor bleiben. Eindrucksvoll zitiert das Handelsblatt von diesem Wochenende den Lufthansa-Chef Carsten Spohr: „65 Jahre lang und durch viele Krisen hindurch haben wir auf den Fundamenten unserer Vorväter aufgebaut. Wir haben die Lufthansa zur Nummer eins in Europa gemacht. Keine 65 Tage hat es gedauert, bis wir in puncto Flugaufkommen wieder das Niveau von vor 65 Jahren erreicht haben. Das ist bitter. Das ist niederschmetternd. Das tut weh.“
Kein X für ein U vormachen?
Buchstabensalat ist derzeit en vogue, obwohl oder gerade weil die Schulen doch noch überwiegend geschlossen sind. Ob die Konjunktur einen u- oder einen v-förmigen Verlauf nimmt, spaltet derzeit die Expertenmeinungen. Also, ob wir schnell oder weniger schnell aus der Krise herauskommen. Frank-B. Werner, Herausgeber von nicht nur Börse Online, überschreibt sein Editorial hoffnungsvoll mit „Doch ein V“. Michael Flämig nennt in seinem Kommentar auf der Titelseite der Börsen-Zeitung vom 8. Mai sogar noch mehr Buchstaben: L, U, V und W! Wichtiger ist ihm allerdings das Konjunkturphänomen „Toilettenpapier 2.0“. Dahinter verbirgt sich kein digitales Papier sondern die Tatsache, dass Unternehmen künftig mehr Vorprodukte vorhalten werden, um Engpässe zu umschiffen. Und dies wiederum würde für eine V-förmige, also schnelle Konjunkturerholung sprechen. Da bremst allerdings Die Welt (7. Mai) und warnt die Anleger „Das dicke Ende kommt erst noch“! Das „V-Szenario“ sei nur eine „eitle Hoffnung“, eher sei ein „U“ zu erwarten. Dass Hoffnung eitel sein kann, war uns neu.
Deutsche Richter gegen den Rest Europas
Ein wichtiges Thema der Woche war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur billionenschweren Ankaufspolitik der EZB. „Karlsruhe geht auf Konfrontation mit EZB und EU-Gerichtshof“ titelte die Börsen-Zeitung am Mittwoch. Am Donnerstag legte sie dann nach, allerdings nicht mehr auf der ersten Seite: „Karlsruher EZB-Urteil erhitzt die Gemüter“. Während sich die EZB selbst noch bedeckt hält, kam Kritik am Urteil aus dem Ausland, insbesondere aus Italien: „Es ist nicht die Sache irgendeines Verfassungsgerichts zu entscheiden, was die EZB machen oder nicht machen kann“, wetterte Italiens Regierungschef Giuseppe Conte. Das Handelsblatt textet nüchtern: „Ein Urteil, das Fragen aufwirft“. Insofern Grund genug, auch künftig weiterhin darüber zu schreiben.
Kim allein zu Haus
Apropos schreiben. Vielleicht geht es Ihnen ja ähnlich, aber es gibt „Nachrichten“, die interessieren schon in normalen Zeiten eher weniger, jetzt aber nicht einmal das. Und dennoch kann man ihnen kaum entgehen, vor allem online. Denn wer will wirklich wissen, was gerade ein „Wendler“ macht (ich hielt das bisher für einen Teil eines Verbrennungsmotors) oder dass Harry und Meghan nicht mehr in Boulevardmedien auftreten wollen – und das breit über alle Medien streuen. Und über Wochen die bange Frage: „Wo ist Kim?“ Keine Ahnung, ob Diktatoren auch ins Homeoffice gehen. Nachdem er jetzt wieder „da“ ist, stellt sich also die Frage: „Wo war er“? Ich persönlich muss ihn nicht sehen, er ist weder sympathisch noch ein ästhetisches Highlight. Und mit Blick auf derzeitige Demonstrationen gegen die bei uns herrschen sollende „Diktatur“: In China ist ein Mann verhaftet worden, weil er Staatspräsident Xi Jinping als „gedämpftes Brötchen“ bezeichnete, wie dem heutigen Newsletter von Gabor Steingart zu entnehmen war. Nun würde das in Deutschland wahrscheinlich niemand über Angela Merkel sagen – ganz bestimmt aber würde er dafür nicht verhaftet werden!
Autor: Ulrich Kirstein, Bayerische Börse AG