Delticom-CEO Prüfer: „Ich beabsichtige nicht, die Aktien in den nächsten Jahren zu veräußern“
Als Delticom im Februar den Einstieg ins Online-Lebensmittelgeschäft bekannt gegeben hat, schlug dies an der Börse hohe Wellen. Insbesondere dass Konzernchef Andreas Prüfer eigene Beteiligungen an die Gesellschaft verkauft hat, sorgte für Diskussionen. Wir haben den Manager des Hannoveraner Unternehmens über die Hintergründe des Einstiegs in das neue Standbein neben dem Online-Reifenhandel befragt.
www.4investors.de: Nachdem Delticom 16 Jahre mit Reifen gehandelt hat, mutet der Einstieg ins Online-Lebensmittelgeschäft überraschend und erklärungsbedürftig an. Sie haben das in der Pressemitteilung zur Übernahme mit den Wachstumsperspektiven der Branche begründet. Was aber hat den Ausschlag gegeben, ausgerechnet jetzt neben dem Kerngeschäft in einen weiteren Bereich zu investieren?
Prüfer: Es ist nur auf den ersten Blick überraschend, dass wir nun diesen Schritt gehen. Wir sind ein E-Commerce-Unternehmen und nicht ausschließlich ein Online-Reifenhändler. In der Vergangenheit hat Delticom bereits Onlineshops für andere Produkte betrieben, wie beispielsweise Kontaktlinsen oder Büromaterial, diese in den reifenstarken Jahren aber eingestellt. Wir wollen unsere Marktpositionierung europaweit im E-Commerce noch weiter ausbauen. Der Bereich Lebensmittel – und hier insbesondere der Gourmet-Bereich – ist hochattraktiv, weil es sich um einen riesigen Markt mit großem Wachstumspotenzial handelt. Alle Vorteile des Onlinekaufs, wie hohe Verfügbarkeit, große Auswahl und Transparenz werden sich auch hier zunehmend durchsetzen. In Deutschland ist die Online-Penetration im Lebensmittelhandel zwar noch nicht so hoch wie beispielsweise in Großbritannien oder Frankreich, gerade bei hochwertigen haltbaren Lebensmitteln setzt sich online im Moment aber zunehmend durch. Mit Gourmondo und ES Food haben wir nun zwei etablierte Player im deutschen Lebensmittelhandel mit langjähriger Erfahrung, Expertise und Reputation übernommen, die mit der Delticom-Infrastruktur im Rücken gut für weiteres Wachstum positioniert sind.
www.4investors.de: Die Delticom-Aktie steht nach einer zunächst positiven Reaktion auf die Übernahme unter Druck und hat per Saldo einen Verlust verzeichnet. Schätzt die Börse den Deal falsch ein?
Prüfer: Die Transaktion ist Teil unserer langfristigen strategischen Unternehmensplanung. Weil ich überzeugt davon bin, dass Delticom noch eine spannende und erfolgreiche Zukunft vor sich hat, habe ich weiter in das Unternehmen investiert. In unserem Kerngeschäft Reifen gibt es für die nächsten Jahre ausreichend Wachstumspotenzial, da immer mehr Autofahrer die Vorteile eines Onlinekaufs entdecken. Auf unserer strategischen Agenda stehen Themen wie beispielsweise die weitere Internationalisierung - sowohl in unserem Kerngeschäft Reifen als auch im Bereich Food – sowie der Ausbau unseres Geschäfts mit Automobilzubehör.
www.4investors.de: Der Kaufpreis von 30 Millionen Euro für defizitäre Onlinehändler dürfte jedenfalls nicht jeden ihrer Aktionäre erfreuen. Wie kam der Preis zustande, wer war an dem Bewertungsverfahren beteiligt?
Prüfer: Der Kaufpreis ist wie immer Resultat der Verhandlungen zwischen Käufer- und Verkäuferseite. Es gab natürlich eine externe Evaluierung nach verschiedenen Ansatzprinzipien, an der Experten von Ernst + Young und Ebner Stolz beteiligt waren. Mit 30 Millionen Euro haben wir nach Expertensicht einen fairen Preis erzielt, der etwa in der Mitte der Bewertungsspanne lag. Wir erwarten, dass die beiden gekauften Unternehmen in den nächsten zwei Jahren die Gewinnschwelle erreichen werden. Delticom hat nicht nur zwei Online-Lebensmittelhändler erworben, sondern auch eine Logistikanlage samt Software, die in der Lage ist bis zu 100 Millionen Euro Umsatz abzuwickeln, ohne weitere nennenswerte Investitionen.
www.4investors.de: Es gab Erstaunen darüber, dass Sie den Baranteil des Verkaufspreises in den Kauf von Delticom-Aktien aus dem Depot des Aufsichtsratschefs und Firmenmitgründers Rainer Binder investieren. War das von Anfang an so geplant?
Prüfer: Ich habe weiter in das Unternehmen investiert, weil ich der festen Überzeugung bin, dass wir hier den richtigen Schritt zur richtigen Zeit gehen und mir macht es Freude, an der Zukunft der Delticom aktiv mitarbeiten zu dürfen. Rainer Binder hält weiterhin über 17 Prozent und ist damit nach wie vor Großaktionär der Delticom AG.
www.4investors.de: Welche Rolle haben Sie als Vorstandschef von Delticom und zugleich als Verkäufer der Online-Shops und Aufsichtsratschef Binder bei der Vorbereitung der Übernahme und der letztendlichen Entscheidung, den Deal durchzuziehen, gespielt? Wie wurden Interessenskonflikte vermieden, die bei einer solchen Konstellation ja zwangsläufig aufkommen?
Prüfer: Wir haben bereits im Vorhinein geprüft, welche Verhaltensregeln wir einhalten müssen und sind erst dann in den Prozess eingetreten. Ich selbst war an dem Deal als Verkäufer involviert, nicht aber in den Entscheidungsprozess im Vorstand der Delticom AG eingebunden. Auch Rainer Binder war im Aufsichtsrat ebenfalls nicht am Entscheidungsprozess beteiligt. Im Vorstand wurde schon länger über neue Geschäftsbereiche nachgedacht. Der Bereich eFood ist aus einer Reihe von naheliegenden Gründen interessant: Es handelt sich dabei um das am schnellsten wachsende E-Commerce-Segment, zudem gibt es attraktive Margen im Gourmet-Segment. Ausschlaggebend für den Deal war für die Kollegen im Vorstand die Tatsache, dass es sich bei den beiden Unternehmen um First Mover handelt und Skaleneffekte durch Nutzung der Delticom-Infrastruktur gesehen werden.
www.4investors.de: Analyst Frank Schwope von der Nord LB hat zu dem Deal gesagt, dieser habe ein „Gschmäckle“. Warum hat er dies aus Ihrer Sicht nicht?
Prüfer: Ich kann nur wiederholen, dass der gesamte Vorstand hinter diesem strategischen Schritt steht. Der Kaufpreis wurde zudem von externen Experten als fair bewertet. Wir haben uns bei der Transaktion an alle Regeln gehalten und sämtliche Details fristgemäß transparent gemacht.
www.4investors.de: Werden Sie die neu erworbenen Aktien einer freiwilligen Lock-up-Frist unterwerfen?
Prüfer: Ich beabsichtige nicht, die Aktien in den nächsten Jahren zu veräußern, sondern investiere langfristig in Delticom, weil ich als Mitbegründer an das Unternehmen glaube.
www.4investors.de: Hätte es nicht für mehr Vertrauen gesorgt, wenn die Übernahme komplett im Rahmen einer Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage vonstattengegangen wäre, statt 18,5 Millionen Euro cash aus der Firma zu ziehen? Eventuell überschüssige Liquidität hätte man ja auch an die Aktionäre ausschütten können, sei es durch eine Sonderdividende oder einen Aktienrückkauf. Was sprach gegen eine solche Konstellation?
Prüfer: Wir wollten das bedingte Kapital nicht vollständig für den Kauf der beiden Unternehmen ausnutzen. Deshalb gab es nun eine Kapitalerhöhung im geringeren Maßstab, was auch die bestehenden Anteile weniger verwässert. Die Liquiditätssituation von Delticom ist dauerhaft gesichert und ermöglichte die hauptsächliche Finanzierung der Transaktion durch liquide Mittel.
www.4investors.de: Delticoms letzte große Übernahme war Tirendo und das war nicht gerade eine Erfolgsgeschichte. Der Deal hat großen Anteil an der Durststrecke, die das Unternehmen durchlaufen musste. Was machen Sie beim Einstieg in das eFood-Geschäft diesmal anders als bei Tirendo?
Prüfer: Ich habe Lebensmittel.de und Gourmondo bereits 2009 bzw. 2012 gekauft. Daher übernimmt Delticom bei diesem Deal zwei Unternehmen, die ich inklusive des Managements schon seit mehreren Jahren kenne und aufgebaut habe. Das war bei Tirendo anders. Man kann im Vorfeld einer Akquisition nicht unbegrenzt hinter die Kulissen schauen. Aber: Die Tirendo Akquisition war aus strategischen Gründen wichtig. Delticom hat sich dadurch in relevanten Bereichen des Geschäfts wie IT und Marketing verstärkt und damit die E-Commerce Kompetenz weiter ausgebaut. Tirendo ist mittlerweile ein profitabler Bestandteil des Delticom-Konzerns, 2015 konnte der Break-even zum Jahresende erreicht werden. Auf der Kostenseite haben wir unsere Hausaufgaben gemacht: Wir haben unsere Position als Kostenführer gestärkt durch optimierte Prozesse und Effizienzsteigerungen entlang der Wertschöpfungskette. Von Synergien und Skaleneffekten wird zukünftig auch der Bereich eFood profitieren.
www.4investors.de: Das Internet ist nicht gerade bekannt dafür, ein einfaches Pflaster für den Handel zu sein. Handelsriesen drängen auf den Markt zum Beispiel REWE. Amazon als Platzhirsch bietet mittlerweile ebenfalls Lebensmittel an. Wie wollen Sie sich gegen diese markenstarken und finanzkräftigen Anbieter mit Ihren vergleichsweise kleinen Shops durchsetzen?
Prüfer: Wir zielen primär auf den Bereich der Gourmet-Lebensmittel ab. Hier sind für den Kunden neben dem Preis auch die Produktpräsentation, der Service rund um den Kauf, die Beratung und vieles mehr wichtig. Es geht also um ein Gesamtpaket für den Kunden – und da sehe ich uns sehr gut aufgestellt. Grundsätzlich ist eFood derzeit ein wachsender Markt, nicht nur in Deutschland sondern auch anderswo. Wir wollen die Internationalisierung des Geschäfts vorantreiben und auch Kunden in anderen Ländern Premium- und Biolebensmittel anbieten.
www.4investors.de: Wollen Sie die operativen Aktivitäten weiter diversifizieren, könnte also im Delticom-Portfolio noch eine dritte, vierte etc. Onlinebranche zu Reifen und Lebensmittel hinzukommen?
Prüfer: Das wird die Zukunft zeigen – als Unternehmer muss man eine grundsätzliche Bereitschaft für neue Ideen mitbringen. Man muss aber auch einen Schritt nach dem anderen gehen können. Die beiden nächsten Jahre konzentrieren wir uns auf unser Kerngeschäft Reifen und Autozubehör sowie den Ausbau des Food-Geschäfts, damit haben wir erst einmal genug Aufgaben zu erledigen.