Rente im Gras - Börse München

Im Zeitalter von E-Mails, Social Media und WhatsApp hielten wir das Briefeschreiben für eine aussterbende Kommunikationsform, nur noch von unverbesserlichen Romantikern betrieben, denen die Lust ein wenig vergeht, wenn sie vor dem verschmuddelten und verschmierten Briefkasten stehen. Doch ausgerechnet der US-Präsident Donald Trump greift zu Blauen Briefen, um seine Zollvorstellungen an Regierungen zu bringen. Nun gut, er veröffentlicht sie auch auf seinem eigenen Social-Media-Kanal Truth Social, was die Überraschung des Empfängers, nicht aber sein Entsetzen, dämpft.
Zollwirrwarr
Das Ping-Pong-Spiel zum Thema Zölle lässt sich anhand der Schlagzeilen aus der Börsen-Zeitung der Woche gut nachvollziehen: „Zoll-Sorgen belasten Dax“, „Zoll-Hoffnungen treiben Dax auf Rekordhoch“, „Trump hält Druck bei US-Zöllen aufrecht“, „Aktionäre blenden Zollsorgen aus“, „Trump straft Brasilien ab“ - mit 50 Prozent! Mal sehen, wie es weitergeht, wenn weitere Briefe ihre Empfänger erreichen und der Inhalt bekannt wird. Einigermaßen drastisch drückte es die Süddeutsche Zeitung aus: „Wie viel Dreck bis du bereit zu schlucken“, zitiert sie einen nicht genannten und offensichtlich nicht amüsierten europäischen Regierungsvertreter zu einem möglichen Deal mit Trump. Assoziativ und ganz ohne KI gibt es dieses Mal einen mehr oder weniger (un)passenden Buchtitel zum Thema, gerne auch als Empfehlung verstanden, hier fällt uns Irrungen, Wirrungen von Theodor Fontane spontan ein.
Ohne Sorgen
Börse Online präsentiert uns auf dem Titel einen lächelnden Mann im offenen Hemd mit ausgestreckten Armen – hinter ihm glitzert Meerwasser. Was er uns sagen will? Er hat „Ausgesorgt“! Wie? Mit „Top-Strategien 2025: Wie Sie Ihr Vermögen nachhaltig steigern“. Leider steigen meist auch die Kosten nachhaltig. Irgendwie hat auch der entspannt mit verschränkten Armen auf einem Rasen liegende Mann offensichtlich ausgesorgt, laut Focus Money kann er nämlich „früher in Rente“. Allen Workaholics dürfte bei diesem Anblick der Angstschweiß auf die Stirne treten, aber offensichtlich stellen sich geplagte Redakteure ihr und unser verfrühtes Arbeitsende vor allem liegend vor: „So schaffen Sie den Absprung mit 63, 60 oder gar 57 Jahren“. Ein Angebot für Aktive wie Pensionisten gibt Der Aktionär: Ein kühler Drink vermittelt uns „Frische Kaufsignale“. Wir dürfen „bis zu 80 Prozent“ erwarten bei „7 Aktien“. Bei so viel grünen Halmen denken wir automatisch an Tauben im Gras von Wolfgang Koeppen.
Utopie
Irgendwo an einer der vielen Fronten im Jahr 2040: Autonom fahrende Panzer beider Seiten liefern sich ein ausgedehntes Gefecht mit offenem Ausgang, während die Soldaten der gegnerischen Armeen sich jeweils unter mehr als 2.000 vorzüglichen Gerichten aus einem Kochroboter der Münchner Firma Circus ihr Lieblingsessen zusammenstellen. Die Einnahme ihrer Mahlzeiten gleicht eher einem Picknick in freier Natur, nur unerheblich gestört durch das Brummen der Panzerschlacht im Hintergrund. Ob sie solchermaßen gesättigt noch Lust verspüren, aufeinander zu schießen? Eine totale Utopie? Vielleicht. Aber den militärisch einsetzbaren (und gefragten) Kochroboter gibt es bereits von dem Münchner Start-up Circus SE und die Unternehmen Renk AG aus Augsburg und Arx Robotics GmbH aus Oberding nahe dem Flughafen München setzen sich mit autonomer Fortbewegung bei Panzern auseinander, wie uns das Handelsblatt mitteilt. Vielleicht überholt die Wirklichkeit unsere Utopie? Hier fielen uns Die Waffen nieder! von Bertha von Suttner oder vielleicht doch eher Der Koch von Martin Suter ein?
Pause
Man kann es ja irgendwie nachvollziehen: Nachdem im Bundestag bekanntlich Abgeordnete aus allen Bundesländern sitzen und die Sommerferien in diesen nicht alle gleichzeitig stattfinden, haben die Politiker einfach beschlossen, eine so lange Sommerpause einzulegen, dass möglichst die gesamten Ferienzeiten abgedeckt sind. Genauer geben sie vom 12. Juli bis zum 8. September Ruhe. Focus Online hat genau nachgerechnet und kommt auf 58 Tage! „Erst Apokalypse, dann Adiletten“, heißt es dazu, wobei für manche bereits Adiletten einer zumindest modischen Apokalypse gleichkommen. Regiert haben der Bundeskanzler und seine Mannschaft im Übrigen erst 67 Tage, hat der Focus weiterhin recherchiert, insofern wären sie im normalen Leben – hier darf von 58 Tagen Urlaub am Stück nur geträumt werden – noch in der Probezeit. Hoffen wir einmal, dass sich auch das Weltgeschehen in den Urlaubsmodus dreht bis 8. September und fragen uns angesichts der vergangenen Jahre vorsichtig, ob ein Nichtregierungshandeln nun eher Fluch oder Segen bedeutet. Aber denken wir bei diesem Thema tatsächlich an Aus dem Leben eines Taugenichts von Joseph von Eichendorff?
Pausenlos
Manch einem kann ein übergroßer Anfall von Fleiß auch zum Verhängnis werden, weshalb wir hier eine Warnung aussprechen wollen. Auch übergroße Kreativität, in falsche Kanäle geleitet, kann zur Stolperfalle werden. So hat der indisch-amerikanische IT-Spezialist Soham Parekh nicht nur einen eindrucksvollen Lebenslauf gebastelt, in dem er keines der großen Tech-Unternehmen ausgelassen hat, er hat mit seinen 27 Jahren bereits mindestens in 19 Start-ups gearbeitet. „Multi-Jobber im Silicon Valley“, überschreibt es die Süddeutsche Zeitung. Wobei das mit dem Arbeiten so seine Sache ist, denn er hat zum einen immer einige von ihnen gleichzeitig absolviert und ließ sich zum anderen nach dem erfolgreichen Bewerbungsgespräch meist nicht mehr in den Unternehmen blicken. Dabei griff er zu den abenteuerlichsten Ausreden: Mal war seine Großmutter zum offensichtlich wiederholten Male gestorben, mal fühlte er sich vom 2.000 Kilometer entfernten Indien-Pakistan-Konflikt gestört. Immerhin ist ihm eines gelungen: Er wurde zur vieldiskutierten Person im Netz – und vielleicht ist seine eigentliche Profession Influencer in eigener Sache. Jetzt hat er noch eine Chance bei DarwinAI bekommen – und ist das Stichwort bei Darwin nicht „Survival of the Fittest“, was das Überleben derer bedeutet, die sich am besten den Gegebenheiten anpassen? Trotzdem, Jakob der Lügner von Jurek Becker liegt uns da auf der Zunge.
Disclaimer: Dieser Text ist eine Kolumne der Bayerischen Börse AG. Der Inhalt der Kolumne wird von 4investors nicht verantwortet und muss daher nicht zwingend mit der Meinung der 4investors-Redaktion übereinstimmen. Jegliche Haftung und Ansprüche werden daher von 4investors ausdrücklich ausgeschlossen!