Der Kollege, die Kollegin - das Kollege: Digitalisierung in der Bauindustrie
Viele sprechen von Automatisierung, Industrie 4.0, als Folge der Digitalisierung auf die Arbeitswelten auch jenseits der Schreibtische. Doch so manch einer weiß nicht genau, was das konkret bedeutet, zu abstrakt sind die Technologien und Möglichkeiten. Deshalb möchte ich heute ein greifbares Beispiel für die Chancen dieser Umwälzung vorstellen.
Sehen wir uns eine Baustelle für Wohnhäuser an. Neben einigen Maschinen dominieren heute Handwerker das Bild. Aber wie lange noch? Woher sollen die qualifizierten Fachkräfte in Zukunft kommen? Wer wird die steigenden Kosten für das immer knappere „Humankapital“ aufbringen können? Insbesondere am Bau, wo schon die Aufwendungen für Grundstücke und Regularien die Preise für viele ins Unerschwingliche treiben?
Einen Lösungsansatz eröffnen hier die neuen technischen Möglichkeiten. Vernetzte, digital gestützte und hoch automatisierte Anlagen sind inzwischen in der Lage, große Mauerteile fast eigenständig herzustellen – Stein auf Stein, auf den Millimeter präzise und in fast jedem Format. Sie arbeiten in einer zentralen Fertigungshalle, unabhängig von Wind, Wetter und Wochentag, wenn es sein muss auch Tag und Nacht. Die kompletten Wände müssen nur noch zu den Baustellen transportiert und an den Kanten zusammengefügt werden.
Dieses System verbindet konsequent die Vorteile des traditionellen Fertigbaus auf Holzbasis mit denen eines massiven Hauses. Vor allem aber verringert dieser Technologieschub erheblich den Bedarf an raren Fachkräften – der Kollege und die Kollegin, werden ergänzt um „das Kollege“: den Roboter. Einfache Tätigkeit wird digitalisiert, während Handwerker als Montagespezialisten komplexere Tätigkeit übernehmen. Mehr noch: Bei vergleichbaren Gesamtkosten pro Quadratmeter steigt die Mauerwerks-Kapazität des Gesamtunternehmens damit um mindestens ein Drittel. Eine solche Produktionsausweitung an dutzenden Bauplätzen deutschlandweit mit Handwerkern zu erreichen, würde einen jahrelangen Personalaufbau erfordern, wenn er überhaupt gelänge.
Um alle Vorzüge der neuen Technik auszuloten, wird für diese automatisierte Fertigung ein innovativer Mauerstein aus natürlichen Rohstoffen entwickelt. Er ist für den einfachen Transport der Wände besonders leicht, garantiert aber eine überragende Wärmedämmung. Damit erfüllt ein einschaliges Mauerwerk energietechnische Vorgaben, die in der Regel nur mit einer zusätzlichen Wärmedämmung zu realisieren wären.
Doch bei aller Vernetzung, Digitalisierung, Automation und neuen, nachhaltigen Materialien in der neuen Wirtschaftswelt: Das alleine ist oft noch kein Geschäftsmodell. Den eigentlichen Hebel bringt erst die Kombination mit bewährten Ideen. Auch das zeigt unser Beispiel. Denn die Basis für einen effizienten Einsatz von Fachkräften am Bau legt keine noch so ausgefeilte Automation, sondern seit Jahrzehnten die strikte Standardisierung aller Prozessschritte. Wer jeden Neubau wie einen einmaligen Prototypen errichtet - was heute immer noch die Regel ist- , der darf sich nicht über einen ausufernden Aufwand beklagen. Eine systematische Vereinheitlichung dagegen schafft routiniert und zügig neuen Wohnraum – mit Handwerkern, die dank standardisierten Haustypen jeden Handgriff genau kennen und daher überaus wirtschaftlich eingesetzt werden. Die Standardisierung am Bau vereinfacht auch die Weiterbildung der Fachkräfte und damit ihre weitere Effizienzsteigerung. In einer eigenen Unternehmens-Akademie zum Beispiel lassen sich alle Arbeitsschritte gezielt trainieren, wenn das Endprodukt immer das gleiche ist.
Es zählt also Innovation plus Tradition. Die Summe mag Industrie 4.0 heißen, auf jeden Fall aber stehen unter dem Strich Innovationen aus den Unternehmen, die zu einem starken Wirtschaftsstandort führen werden.
Gastautor: Otfried Sinner, Vorstandsvorsitzender der Traumhaus AG, Wiesbaden
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