Brexit: Schlappe für Theresa May, Unsicherheit belastet britische Wirtschaft - Nord LB Kolumne
Die britischen Wähler haben gestern über die Zusammensetzung des Unterhauses entschieden. Premierministerin Theresa May hatte die vorgezogenen Parlamentswahlen auf den Weg gebracht, um sich eine stabile Mehrheit ihrer Konservativen als Rückendeckung für die Brexit-Verhandlungen mit der EU zu sichern. Sie erlitt dabei eine in dieser Dimension kaum vorauszusehende Schlappe. Ihre Konservative Partei verlor nach Maßgabe der bisher veröffentlichten Hochrechnungen der BBC mit nur noch 315 Sitzen die absolute Mehrheit im Parlament. Bisher hatten die Konservativen eine eher schmale Mehrheit, die bei der Durchsetzung der politischen Positionen stets eine gewisse Rücksichtnahme auf Abweichler in den eigenen Reihen erforderlich machte. Selbst diese schon unkomfortable Konstellation ist nun dahin.
Die durch das strikte Mehrheitswahlrecht zustande kommende Sitzverteilung spiegelt nicht zwangsläufig die Anteile der für die Parteien abgegebenen Stimmen wider. Hier konnte die oppositionelle Labour Party mit 40,1% bis auf etwas mehr als zwei Prozentpunkte aufschließen. Dies war zum Zeitpunkt der Einberufung von Neuwahlen undenkbar gewesen. Auch die Umfragen hatten ein derart knappes Ergebnis erst in den letzten Tagen signalisiert. Ausschlaggebend war offenbar, dass es Labour und ihrem Kandidaten Jeremy Corbyn gelungen ist, junge Wähler zu mobilisieren, von denen viele dem Brexit kritisch gegenüber stehen und denen sozialpolitische Fragestellungen wichtig sind.
Die Bildung einer handlungsfähigen Regierungskoalition oder gar einer Minderheitsregierung wird nun zum Vabanquespiel. So oder so wird Theresa May zurücktreten müssen. Sie hat durch ihr Taktieren, durch politische Fehler, eine unglückliche Kommunikation und sicher auch durch ihren „Hard Brexit“-Kurs das Vertrauen der Wähler verspielt.
Die Verhandlungen Großbritanniens mit der EU über den Brexit sollen nach dem bisherigen Zeitplan am 19. Juni beginnen. Das ist kaum mehr vorstellbar, eine Verschiebung wird unausweichlich sein. Die wackeligen Mehrheitsverhältnisse lassen darauf schließen, dass die bisher starre und kompromisslose Position der Briten nicht mehr durchzuhalten ist.
Für die ohnehin schon angeschlagene Konstitution der britischen Wirtschaft schafft das nun völlig unkalkulierbare politische Umfeld eine Verunsicherung, die wie Mehltau auf der ökonomischen Aktivität liegen wird. Der Devisenmarkt hat das bereits eingepreist, das Pfund büßte zum US-Dollar in einer ersten Reaktion mehr als 2% an Wert ein. Alle unsere ohnehin schon nicht sonderlich optimistischen Prognosen stehen erst einmal „under review“.
Fazit: Theresa May hat bei den vorgezogenen Parlamentswahlen eine in dieser Dimension kaum vorauszusehende Schlappe erlitten und die absolute Mehrheit verloren. Die Bildung einer handlungsfähigen Regierungskoalition oder gar einer Minderheitsregierung wird nun zum Vabanquespiel. Eine Verschiebung der Brexit-Verhandlungen wird unausweichlich und die bisher starre und kompromisslose Position der Briten nicht mehr durchzuhalten sein. Für die ohnehin schon angeschlagene Konstitution der britischen Wirtschaft schafft das nun völlig unkalkulierbare politische Umfeld eine Verunsicherung, die wie Mehltau auf der ökonomischen Aktivität liegen wird.