Wozu sind Kriege da? - Börse München
Wie soll man eine einigermaßen vergnüglich zu lesende Presseschau verfassen, wenn man am liebsten gar nicht mehr in die Presse schauen möchte? „Schlacht um Kiew“ (Abendblatt), „Putins Überfall“ (Welt am Sonntag), „Härte gegen Moskau“ (Handelsblatt), „EU rechnet mit Millionen Flüchtlingen“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung), „Großstädte unter Beschuss“ (Süddeutsche Zeitung) – sind wir im falschen Film? Blicken wir auf die Konsequenzen für die Wirtschaft, werden die Schlagzeilen nicht angenehmer: „DAX: Absturzrisiko bis 11.000 Punkte“ (Handelsblatt), „Raus aus Russland“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung), „Der Rubel stürzt ins Chaos“ (Süddeutsche Zeitung) … „Wozu sind Kriege da“, sang Udo Lindenberg 1981 (zusammen mit dem zehnjährigen Pascal Kravetz). Ja, wozu eigentlich? „Give Peace a Chance“ von John Lennon brachten heute die Radiosender gemeinsam. Eher unwahrscheinlich, dass der „Vollpfosten in Moskau“ (Zitat Manfred Schmid in Börse am Donnerstag) sich das anhört, geschweige denn zu Herzen nimmt (wenn er im gemeinten Sinne über eines verfügen sollte).
Schock
War letzte Woche noch von „Keine Panik“ die Rede, malen diese Woche die Finanzmagazine schwarz und sehen rot, so zumindest die Farbgebung der Cover. „Der Putin-Schock“ heißt es in Focus Money, „Der Zerstörer“ benennt Börse Online denselben Adressaten. „So steuern Sie Ihr Depot durch die Krise! Die aussichtsreichsten Aktien & Gewinne mit Öl, Gold, Palladium“ tröstet Focus Money Investoren immerhin, während Börse Online nüchtern konstatiert: „Putin stürzt die Welt ins Chaos. Was das für Ihre Geldanlagen bedeutet“. Nichts Gutes: „War, what is it good for“, fragte bereits 1969 die Gruppe The Temptations und antwortete prompt: „Absolutely nothing“.
Geist in Wachs
Man tut ja einiges, um sich abzulenken, jedenfalls bringt Börse Online in der Rubrik „Legendäre Investoren“ ein mehrseitiges Porträt von Marie Tussaud, bekannt für ihre weltweit verbreiteten Wachsfigurenkabinette. Bereits 1767 gründete ihr Nenn-Onkel und Arzt Philippe Curtius in Paris zwei Wachsfigurenkabinette, Marie war seine gelehrige Schülerin und Mitarbeiterin. Die Porträts von König Ludwig XVI. (noch mit Kopf) und Jean-Jacques Rousseau sorgten zu Zeiten, als es noch keine Fotografie gab, für hohe Aufmerksamkeit, mehr noch jedoch die Wachsfiguren von Verbrechern. In diesem Zusammenhang fiel uns ein merkwürdiges Zitat aus einem Werbetext von Madame Tussaud auf: „Ihre Vorzüge sind mit Worten nicht zu beschreiben, sie verwandelt Frauen in Schönheiten und verleiht Männern Geist“! Wachsfiguren scheinen mehr Geist zu versprühen als manche aus Fleisch und Blut. Nicht ganz so alt wie Madame Tussaud ist hingegen „Ein bisschen Frieden“ von Nicole. Es dürfte derzeit gerne ein bisschen mehr sein, oder, wie es in dem Lied heißt, „sing mit mir ein kleines Lied, dass die Welt in Frieden lebt“.
„Aktien mit Rauschgefahr“ analysierte Kerstin Papon in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Gemeint ist Cannabis, das nicht nur Unternehmen, sondern auch Investoren anlocke, denn es handle sich dabei immerhin um einen Milliardenmarkt. Sie berichtet, dass in Denver, Colorado, nächtens ein „ungewohnter Duft“ herrsche, denn dort ist Cannabis seit 2012 nicht nur zu medizinischen Zwecken, sondern auch als Genussmittel erlaubt, allerdings nicht unbedingt in der Öffentlichkeit, weil landesweit in den USA noch ein Verbot herrscht. In Deutschland zählt Cannabis zur „am häufigsten konsumierten illegalen Droge“, was man im naheliegenden Park vor meiner Wohnung ähnlich wie in Denver riechen kann. Immerhin, es gibt einen „North American Marijuana Index“, der bis Ende Februar allerdings deutlich abwärts zeigte – ob sich das in diesen Zeiten ändern wird? „Sag mir, wo die Blumen sind“ sang Marlene Dietrich einst, meinte aber nicht Cannabis, sondern fuhr fort: „Und sagt, wo die Soldaten sind, wo sind sie geblieben? … über Gräber weht der Wind… Wann wird man je versteh’n?“
Oligarchen
Dass ein Wirtschaftsblatt sich für Enteignung ausspricht, dürfte Seltenheitswert haben. Doch die Zeiten sind ja mehr als seltsam. Und so setzt sich Mathias Brüggmann im Handelsblatt für eine Enteignung der russischen Oligarchen ein, denn sie seien eng mit dem Unrechtssystem Putins verbunden. Er zählt eine „lange Liste von Sünden“ auf, die wir hier nicht einzeln nennen wollen. „Sie teilen sich die korrupten Gewinne der Kreml-Politik, nun sollten sie auch die Schmerzen teilen“, zitiert Brüggmann den US-Präsidenten Joe Biden. Wir fragen uns, was tun mit all den geschmacklosen Yachten und protzigen Villen? Es werden sich Abnehmer finden. Schließen wir diese Presseschau mit der Hoffnung auf bessere Zeiten und den wütenden Worten Bob Dylans in seiner Anti-Vietnam-Ballade „Masters of War“ von 1963. „I can see through your masks“ … „you play with my world“ heißt es darin unter anderem, aber man könnte vor allem die letzte Strophe zitieren…
Autor der Presseschau: Ulrich Kirstein, Bayerische Börse AG
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