Commerzbank: Schottland wird nicht unabhängig von Großbritannien
Gestern war der Tag der Entscheidung: 4,3 Mio. Schotten stimmten über die Unabhängigkeit des Landes von Großbritannien ab. Die Wahllokale waren bis 23 Uhr geöffnet und die Wahlbeteiligung mit über 90% rekordverdächtig. Heute Morgen gab der schottische Ministerpräsident Alex Salmond bekannt, dass sich die Mehrheit dafür entschieden habe, zu diesem Zeitpunkt ein unabhängiges Land zu werden. Er betonte nachdrücklich, dass es sich bei dem Referendum um ein von allen Seiten akzeptiertes Verfahren gehandelt habe. Die Debatte über eine Unabhängigkeit Schottlands war in den vergangenen Wochen leidenschaftlicher geworden. Vor anderthalb Wochen schreckte eine Meinungsumfrage die Kapitalmärkte auf, als erstmals die Befürworter einer Unabhängigkeit führten. Daraufhin wurde das gegnerische Lager aktiv. Der britische Premierminister David Cameron und sein Vorgänger Gordon Brown schworen die Gegner auf ein „Nein“ ein. Die Vorsitzenden der Konservativen, der Labour-Partei und der Liberaldemokraten Schottlands versprachen in einem offenen Brief maximale Autonomie unter dem Dach der britischen Union. Deshalb müssen, obwohl Schottland nicht unabhängig wird, neue Gespräche über die Gestaltung Großbritanniens geführt werden. Die Finanzmärkte reagierten erleichtert auf das Abstimmungsergebnis. Das britische Pfund, das sich seit Anfang Juli deutlich abgewertet hat, hat sich in den letzten Tagen und in der Nacht zu heute merklich erholt. Die Aktien dürften auch einen Teil ihrer Underperformance wieder aufholen. Positiv könnte es sich auf andere Pläne einer Unabhängigkeit auswirken, wie die Katalanen von Spanien. Dies bleibt aber unsicher und ein spannendes Thema, das Referendum dafür findet am 9. November statt. Auch die Schotten könnten bereits in zwei Jahren ein neues Referendum starten, das habe die Befürworter signalisiert.
Zinsen und Anleihen
Schottland bleibt Teil von Großbritannien. Das Ergebnis war am Ende klarer als erwartet (siehe „Im Blickpunkt“). Vor der Abstimmung traten Makrodaten am gestrigen Handelstag in den Hintergrund. Für Druck auf die Renditen sorgte lediglich die unter den Erwartungen liegende Inanspruchnahme des neuen Langzeittenders (TLTRO) der EZB. Während man mit einem ein Volumen von 100-300 Mrd. Euro rechnete, riefen die europäischen Banken lediglich 82,6 Mrd. Euro ab. Ursächlich dafür dürfte u.a. der Stresstest der EZB sein, welcher in rund 4 Wochen veröffentlicht wird. Einzelne Banken werden vor Kenntnissen über einen möglichen Kapitalbedarf die Neukreditvergabe sehr restriktiv vornehmen. Da überschüssige Liquidität zudem mittlerweile von der EZB negativ verzinst wird, bestand möglicherweise wenig Bedarf an dem Tender von gestern. Der nächste Tender steht im Dezember an und sollte unserer Meinung nach mehr Zuspruch finden. Die geringe Beteiligung am TLTRO wurde von Marktteilnehmern allerdings auch als Indiz gewertete, dass dieses Instrument der EZB nicht richtig greift, weshalb aus diesem Blickwinkel ein Staatsanleihenkaufprogramm zur Erreichung der Zentralbankziele wahrscheinlicher geworden ist. In der Folge sanken kurzzeitig die Renditen für Staatstitel im Euroraum, aber auch die von US-Treasuries. Daten über die Baubeginne und Baugenehmigungen in den USA fielen zwar etwas schwächer aus als erwartet, bilden aber trotzdem den Trend der Erholung am US-Immobilienmarkt ab. Auch der Index über die Geschäftsaktivität im Notenbankdistrikt Philadelphia fiel etwas stärker als erwartet von 28 auf 22,5 Punkte. Die Erstanträge für Arbeitslosenunterstützung hingegen waren geringer als erwartet. Die Auswirkungen der Abstimmung in Schottland sollten auch heute das Tagesgeschehen dominieren.
Aktien
Die europäischen Aktienmärkte konnten gestern deutlich zulegen. Nach der EZB sorgte nun auch die US-Notenbank Fed für gute Stimmung an den Aktienmärkten. Die Bestätigung der Fed, die Leitzinsen noch einen „beträchtlichen“ Zeitraum niedrig zu belassen, sorgte für Erleichterung. Gute US-Daten zum Arbeitsmarkt waren ein zusätzlicher Positivfaktor dafür, dass sich die Indizes im Laufe des Tages weiter nach oben bewegten. Das schottische Referendum stellte gestern keinen Belastungsfaktor dar, wenngleich der britische Aktienmarkt (+0,6%) nur unterdurchschnittlich zulegen konnte. Auf Länderebene ragte der Dax gestern positiv hervor. Er profitierte dabei von den Kursgewinnen bei Bayer (+6,2%), deren Pläne zur Abspaltung der Kunststoffsparte gut aufgenommen wurden. Der Geschäftsbereich soll bis 2016 an die Börse gebracht werden. Des Weiteren sorgten Übernahmespekulationen für Bewegung. Nachdem der US-Öl-Service- Konzern Dresser-Rand bisher als Übernahmeziel von Siemens gehandelt wurde gibt es nun Spekulationen, dass Dresser mit dem Schweizerischen Konzern Sulzer (+8,1%) fusionieren könnte. An den US-Märkten ging es ebenfalls weiter aufwärts, es fehlte an größeren frischen Impulsen, so dass der Handel recht ruhig verlief und die positive Aufnahme des Fed-Meetings von Mittwoch für weiteren Auftrieb der Indizes sorgte. Auf Branchenseite waren entsprechend Finanzwerte (+1,1%) gefragt, während Versorger (-0,7%) und Energiewerte (-0,5%), letztere litten unter dem wieder fallenden Ölpreis, als einzige Sektoren im Minus schlossen. An den asiatischen Märkten dominierten ebenfalls die Pluszeichen. Der schwache Yen sorgte für Kursgewinne beim Nikkei, der ein 7-Jahres-Hoch erklimmen konnte. Der britische Markt dürfte heute zwar keinen großen Kursprung hinlegen, aber einen Teil seiner bisherigen Underperformance aufholen.