Commerzbank Börsencompass: Dialektik der Erwartungssteuerung
Seit Mai, spätestens seit der FOMC-Sitzung im Juni hatten sich die Märkte aufgrund entsprechender Hinweise der Fed in Kombination mit erfreulichen Konjunkturdaten darauf eingestellt, dass der Ausstieg („Tapering“) aus der quantitativen Lockerung (QE) nur noch eine Frage der Zeit sei; die Erwartungen hatten sich zunehmend auf gestern verdichtet. Daher war es eine faustdicke Überraschung, dass die Fed unverändert Staats- und Hypothekenanleihen im Gesamtvolumen von monatlich 85 Mrd. USD kaufen wird. Ihre Entscheidung begründete sie mit einer ungewöhnlich langen Pressemitteilung. Der Hauptgrund für ihr Abwarten liegt offensichtlich in der Verschlechterung der Finanzbedingungen, wozu nicht zuletzt die in Zuge der Ausstiegsdebatte gestiegenen Hypothekenzinsen zählen; sollte dieser Trend anhalten, gefährde er auch die Verbesserungsdynamik am Arbeitsmarkt, hieß es. Weiter-hin sieht die Fed die Konjunktur durch die Finanzpolitik belastet. In dieser Gemengelage hielt sie es für opportun, vor dem „Tapering“ noch mehr Evidenz über die Nachhaltigkeit der Erholung am Arbeitsmarkt zu gewinnen. Kommunikativ war dies freilich kein Meisterstück, hatte es doch geheißen, bei einer Arbeitslosenquote von 7% (was man Mitte 2014 erwartete), wolle man die Anleihekäufe ganz einstellen. Jetzt wurde klar, dass es vor allem auf die Einschätzung der weiteren Aussichten am Arbeitsmarkt durch das FOMC ankommt, nicht auf numerische Werte. Ironischerweise ist durch die gestrige Überraschung die unveränderte Botschaft, die Fed Funds Rate nicht anzuheben, bevor die Arbeitslosenquote mindestens auf 6,5% gesunken ist, umso glaubwürdiger geworden; das jedenfalls signalisieren die Fed Funds Futures.
Konjunktur und Rentenmärkte
Zur Überraschung vieler Beobachter beginnt die US-Notenbank (Fed) noch nicht damit, ihre Anleihekäufe zurückzufahren. Fed-Präsident Bernanke ließ offen, wie lange die Fed noch warten wird. Bislang gingen die meisten Volkswirte davon aus, dass die Fed Mitte 2014 die Käufe ganz einstellen würde. Der direkte volkswirtschaftliche Effekt der gestrigen geldpolitischen Entscheidung dürfte gering sein. Die Fed steuert aber nicht nur ihre Bilanzsumme sondern auch die Erwartungen der Marktteilnehmer: In vielen Märkten zogen die Kurse gestern kräftig an. Die Renditen von 10-jährigen US-Treasuries fielen rasch um 20 Basispunkte. Grund hierfür ist, dass sich die Sorgen, die Fed könne ihren Fuß zu früh vom Gas nehmen, verflüchtigten (vgl. Topthema). Die Entscheidung der Fed ist verständlich: Die Konjunktur in den USA erholt sich zwar langsam, die Auslastung der Unternehmen lässt aber weiterhin ebenso Wüsche offen wie der Arbeitsmarkt. In diesem Umfeld bleiben die Inflationsrisiken niedrig. Zinserhöhungen sind vor 2015 unwahrscheinlich, die Kapitalmarktzinsen dürften daher nur langsam steigen. Eine Stütze der US-Konjunktur ist derzeit der Wohnungsbau. Die Zahl der Baugenehmigungen hatte sich in den Monaten April und Mai gegenüber 2011 fast verdoppelt. Seither sind die Genehmigungen um etwa 10% gesunken, wie der Bericht gestern zeigte. Die Nachfrage nach Immobilien ist weiterhin gut. Etwas langsamere Zuwächse sind sogar positiv für eine nachhaltige Normalisierung.
Aktienmärkte
Im Vorfeld der Offenmarktausschusssitzung der US-Notenbank präsentierten sich die europäischen Aktienmärkte in einer positiven Stimmung. Wegen der Unsicherheit über die weitere Ausrichtung der US-Geldpolitik fielen die Kursausschläge aber noch relativ verhalten aus. Im deutschen Leitindex Dax 30 stand ThyssenKrupp (+1,9%) an der Spitze der Kursliste, während Lanxess (-2,8%) nach Bekanntgabe eines Restrukturierungsprogramms und Bestätigung der Konzernziele unter Druck geriet. Sehr volatil bleibt wegen der Turbulenzen auf dem weltweiten Kalimarkt der Kursverlauf bei K+S (-5,1%). Stärkste Titel im EUROSTOXX 50 waren die Aktien von EADS (+3%). Im Leitindex des Euroraums konnten sich vor allem Banken (+1,2%) und die Informationstechnologie (+1,1%) in den Vordergrund spielen, während einzig die Energiebranche (-0,2%) etwas schwächer tendierte. An der Wall Street sorgte die überraschende Verschiebung des Tapering für neue Rekordstände. Stärkster Titel im Dow Jones Industrial war im Zuge kräftig anspringender Metallpreise Alcoa (+3,6%). Somit präsentierte sich auch die Grundstoffbranche (+2,3%) sehr fest, nur Versorger (+3%) konnten noch stärker zulegen. Hinter der allgemein guten Performance blieben lediglich der Pharmasektor (+0,7%) und Telekommunikation (+0,4%) etwas zurück. Deutliche Kursgewinne verbuchte nach einer über den Erwartungen liegenden Quartalsvorlage FedEx(+5%). Oracle hingegen enttäuschte nachbörslich mit seinem Ausblick. Die asiatischen Märkte schließen sich heute Morgen der Euphorie in den USA an, lediglich der chinesische Festlandsmarkt setzt feiertagsbedingt aus. Auch die europäischen Börsen werden in Rekordstimmung eröffnen.