Nvidia, Microsoft, Novo Nordisk und Co.: Erkenntnisse aus 35 Jahren Diversity Analysen

Von Michael Stuber, Diversity-Forscher und –Pionier, Gründer von European Diversity Research & Consulting
Es lohnt, zunächst den Blick auf eine Studie zu richten, die zu Beginn der Diversity-Ära durchgeführt wurde: Auf die Ankündigung der US-amerikanischen Affirmative Action Gesetzgebung reagierten die Aktienmärkte zwischen 1986-1992 positiv. Damals erschien es offensichtlich, dass die bewusste Berücksichtigung aller Talente nach allen wirtschaftlichen Gesichtspunkten Sinn ergibt. Umgehend etablierten sich Aktienindizes, die Diversity-Kriterien als zusätzlichen Filter über ein Investment-Universum legten: Auf den Domini400Social Index (1990) folgten Calvert Social und Dow Jones Sustainability.
Wissenschaftliche Auswertungen zeigten später, dass diese drei, z. B. von 1990-2004, ihren Benchmark, den S&P 500, schlugen, wenn auch nicht in jedem Zeitabschnitt. Seit 2006 performt der inzwischen MSCI KLD400 Social genannte Index weit über dem Vergleichsportfolio (z. B. + 100% vs. 93% in fünf Jahren, + 270% vs. 197% in zehn Jahren).
Eine weitaus einfacher angelegte Auswertung des deutschen Aktienmarktes ergab im Zeitraum 2002 bis 2010 für B2C Unternehmen mit höheren Frauenanteilen sowohl in Aufsichtsräten wie auch unter den Beschäftigten signifikant höhere Kapitalrenditen, Eigenkapitalrenditen und höhere KBVs.
Um zu verstehen, wie belastbar solche Ergebnisse sind, müssen berechtigte, kritische und insofern essentielle tiefere Fragen geklärt werden:
- Welche Faktoren oder Kriterien hängen mit höherer Performance zusammen (bestimmte Vielfaltsmerkmale, verbindliche Richtlinien oder spezifische Personalprozesse)?
- Geht die Auswahl bestimmter Aktien (und damit der Ausschluss anderer) nicht auch zu Lasten der Performance, z.B. eines ESG- oder Diversity-Indexes?
- Sind Wirkungszusammenhänge nachweisbar oder handelt es sich um Scheinkorrelationen oder umgekehrte Wirkungen (erfolgreiche Firmen ‚leisten sich‘ Diversity)?
- Wie verlässlich sind die Aussagen über Zeiträume, Regionen oder Branchen hinweg?
Tatsächlich klärte eine große Zahl von meist wissenschaftlichen Studien diese Fragen über insgesamt 35 Jahre hinweg. Von allen fanden nur einzelne Studien negative Zusammenhänge zwischen Diversity & Inklusion und wirtschaftlichem Erfolg, während der ganz überwiegende Teil positive oder neutrale Effekte zeigte. Weiterhin fielen die Ergebnisse über Regionen/Länder, Branchen und Unternehmensgrößen hinweg sehr ähnlich aus. Besonders klar, umfassend und aufschlussreich beschreibt ein Bericht der Rockefeller Asset Management und der NYU Stern die Forschungslandschaft. Er aggregiert über 1.000 Studien (!), die zwischen 2015 und 2020 angefertigt wurden, getrennt nach Studien zum Unternehmens- bzw. Investmenterfolg:
- 58% der Unternehmensstudien fanden einen positiven Zusammenhang von ESG und ROA, ROE oder Aktienkurs (13% neutral, 21% gemischt, 8% negativ)
- 59% der Investmentstudien zeigten eine ähnliche oder bessere (Alpha oder Sharpe Ratio) Performance von ESG versus traditionellen Portfolien, 14% performten schlechter
Der Bericht zitiert 13 weitere, ähnliche Metastudien, die alle (!) einen positiven Zusammenhang von ESG und Aktienkurzperformance fanden und zwei Investmentmetastudien, die einen neutralen Zusammenhang (also ähnliche Performance) zeigten.
Weshalb die Ergebnisse von Vergleichsanalysen vor aber auch nach der Einrichtung der 17 SDGs (2015, Vereinte Nationen) unterschiedlich ausfallen, untersuchten weitere wissenschaftliche Studien. Eine Studie errechnet, dass 56% der Abweichungen auf unterschiedliche Messansätze zurückzuführen sind (Kategorien, Kriterien und Messgrößen), 38% auf den Umfang der Erhebung (Anzahl der Kriterien) und 6% auf unterschiedliche Gewichtungen. Aus Investmentsicht bietet diese Varianz die Chance, unterschiedliche Produkte für verschiedene Anlegertypen zu kreieren – z.B. die nachfolgend erwähnten neueren Fonds.
Eine weitere zentrale Erkenntnis mehrerer Studien ist der Wirkungszusammenhang von Diversity oder ESG und verbesserter Performance: Erhöhte Innovationsfähigkeit, Leistungsoptimierung und Risikomanagement (vor allem in Krisensituationen) sind häufig belegte Bindeglieder (‚mediating factors‘). Analysen zeigen zudem, dass die Effektstärke mit dem Reifegrad einer Organisation variiert: ESG Leaders und Laggers erzielen geringere Vorteile als das (untere) Mittelfeld, das Verbesserungen leicht realisieren kann, die rasch oder deutlich wirken.
Mit den Erkenntnissen der überlegenen Performance und der stark wachsenden Nachfrage entstand eine Bandbreite von aktiv gemanagten Fonds (mit eigenen Kriterien) sowie passive Produkte, die auf einem der sozialen oder ESG Indizes (z. B. FTSE4Good, FTSE Diversity & Inclusion, FTSE Europe Equal Opportunitites Select, Solactive Equileap Global Gender Equality) basieren. Vier neuere Produkte illustrieren die Bandbreite:
- Der Nordea Global Diversity Engagement Fund fokussiert seit Februar 2019 auf absehbare Effekte von D&I Management im Frühstadium (Aktuelles Volumen 698 Mio. USD, u.a. mit Nvidia, Microsoft, Apple und Novo Nordisk, Performance über MSCI ACW Benchmark)
- Der Mirova Women Leaders and Diversity Equity orientiert sich seit April 2019 vor allem an der Fraueninitiative der Vereinten Nationen und achtet besonders auf die Genderverteilung im Management. (Aktuelles Volumen 279 Mio. EUR, u.a. mit Eli Lilly, Air Liquide, Accenture und Visa, Performance wie MSCI ACW Benchmark)
- Der M&G Diversity und Inclusion Fund kombiniert seit November 2021 Kriterien zu Vielfalt im Management und Aktivitäten zur Förderung von Chancengleichheit. (Aktuelles Volumen 20 Mio. EUR, u.a. mit Microsoft, Schneider Electric, Unilever und Ansys, Performance unter MSCI ACW Benchmark)
- Der Calvert Sustainable Diversity, Equity & Inclusion fokussiert seit Januar 2023 auf US-amerikanische Großunternehmen, die führend oder aktiv im Thema DEI sind und mindestens eine Frau im Vorstand haben. (Volumen 31 Mio. USD, u.a. mit Broadcom, Mastercard, Home Depot und AbbVie, Performance wie Russell 1000 Benchmark)
Die Erfahrungen dieser neuen Ansätze bestätigen Forschungsergebnisse, wonach sich die Vorteile von ESG-basierten Investmentstrategien erst über einen längeren Zeitraum deutlich herausbilden und andere, wonach der enge (oder strenge) Fokus auf Repräsentationszahlen (aka Quoten) kein sinnvoller oder tragfähiger Ansatz ist. Etliche Studien monieren indes, dass zu wenig über die Zusammenhänge von DE&I, Innovation, Effizienz und Unternehmenserfolg bekannt sei. Diese Lücke füllt der Forschungsbericht IBCR, der 255 empirische Studien aus drei Jahrzehnten ausgewählt hat und portraitiert, die die Entstehung wirtschaftlicher Mehrwerte im Rahmen einer aktiven, zielgerichteten Gestaltung von Vielfalt in verschiedenen betrieblichen Kontexten (Vertrieb, Motivation, Teamwork) verlässlich untersucht haben.
Die Erkenntnisse aus 35 Jahren Diversity Forschung zeigen für Manager und Investoren, dass eine bewusste und pro-aktive Berücksichtigung der Vielfalt von Beschäftigten, Kunden und weiterer Stakeholder positive wirtschaftliche Effekte zeigt. Welcher Hebel sich in einer konkreten Situation ergibt, muss mit Bedacht und Expertise geklärt werden.
Quellenangaben auf Anfrage beim Autor erhältlich.
Disclaimer: Der Text ist eine Kolumne von Michael Stuber, Engineering D&I. Der Inhalt der Kolumne wird von 4investors nicht verantwortet und muss daher nicht zwingend mit der Meinung der 4investors-Redaktion übereinstimmen. Jegliche Haftung und Ansprüche werden daher von 4investors ausdrücklich ausgeschlossen!
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