Ifo Geschäftsklima: Drohende Gasknappheit schürt Rezessionssorgen - Nord LB
Heute Vormittag hat das Münchner ifo-Institut aktuelle Ergebnisse seiner monatlichen Konjunkturumfrage unter rund 9.000 deutschen Unternehmen veröffentlicht. Demnach verschlechterte sich das ifo-Geschäftsklima für die gewerbliche Wirtschaft im Juni auf 92,3 Punkte. In der ersten Junihälfte hatten bei den Frühindikatoren noch die positiven Vorgaben dominiert, bei den Umfragen vom ZEW und sentix gab es für die Lage- und die Erwartungskomponente leichte Verbesserungen. Der ifo-Geschäftsklimaindex folgt jedoch den gestern gemeldeten Zahlen von den Einkaufsmanagerindizes, die eine überraschend deutliche Abkühlung der Dynamik sowohl im Industrie- als auch im Dienstleistungssektor angezeigt hatten.
Immerhin schätzen die Umfrageteilnehmer ihre Geschäftslage trotz eines leichten Rücksetzers zum Vormonat auch im Juni noch als recht ordentlich ein. Die Lagekomponente sank nur leicht von 99,6 auf 99,3 Punkte. Mit dem Ukrainekrieg, hohen Energiepreisen, anhaltenden Engpässen bei Rohstoffen und Vorleistungsgütern und steigenden Zinsen sind die Belastungen für die Unternehmen zahlreich und hoch, zumindest bis zum aktuellen Rand zeigten sich die Unternehmen aber noch relativ resilient. Die spürbare Stimmungseintrübung unter den befragten Unternehmenslenkern ist denn auch fast ausschließlich auf eine nochmals verschlechterte Einschätzung der Geschäftserwartungen zurückzuführen. Der Index für die Erwartungskomponente sank auf 85,8 Punkte und notiert damit nur noch leicht oberhalb des Wertes vom März, als die Unternehmen angesichts des russischen Angriffskrieges regelrecht unter Schock standen.
Die Ursache für den Konjunkturpessimismus liegt auf der Hand. Seitdem Russland Mitte Juni seine tägliche Lieferung über die Pipeline Nord Stream 1 an Deutschland um inzwischen mehr als 50% reduziert hat, ist die Sorge vor einer drohenden Gasknappheit im kommenden Winter erheblich gewachsen. Zwar sind die hiesigen Gasspeicher jahreszeitüblich befüllt, das Ziel eines Speicherstands von mindestens 90% bis zum Winter rückt mit der aktuellen Drosselung jedoch in weite Ferne. Die Bundesregierung hat wegen der Gefährdung der Versorgungslage und der angespannten Situation auf den Gasmärkten hierauf mit der Aktivierung der Stufe 2 (Alarmstufe) im nationalen Notfallplan Gas reagiert. Bei einer weiteren Eskalation (Ende der Lieferungen aus Russland) drohen perspektivisch Engpässe beim Gas und Rationierungen für Unternehmen, da kurzfristig das bisherige Volumen aus Russland nicht substituierbar erscheint.
Es ist nicht klar, was Putin bezweckt. Will er eine hinreichende Speicherung bis zum Winter verhindern, um Deutschland und Europa beim Gas im Winter an der kurzen Leine zu führen, und nebenbei schon jetzt den Gaspreis in neue Höhen schrauben? Oder bereitet er tatsächlich ein vollständiges Ende der Lieferung von Gas vor? Bei Letzterem würde Europa wohl eine harte Rezession drohen, und die Sorge hiervor spiegelt sich bereits jetzt in den pessimistischen Geschäftserwartungen der Unternehmen wider. Es bleibt dabei: Schnelle Fortschritte beim Thema Energiesouveränität sind nicht nur von strategischer Relevanz, sondern haben erheblichen Einfluss auf die Wirtschaftsstimmung und Konjunkturperspektiven in den kommenden Monaten.
Fazit: Die Stimmung in den deutschen Unternehmen hat sich im Juni wieder deutlich eingetrübt. Der ifo-Geschäftsklimaindex ging auf 92,3 Punkte zurück, was vor allem auf eine noch pessimistischere Einschätzung der Geschäftserwartungen zurückzuführen ist. Als echter Stimmungskiller hat sicher die jüngste Eskalation beim Thema Gaslieferungen aus Russland gewirkt. In Deutschland wächst die Sorge vor einer tiefen Rezession, sollte Russland tatsächlich die Lieferung von Gas komplett einstellen. Noch hängt dieses Szenario nur als Damoklesschwert an einem Faden über der Wirtschaftsentwicklung – die Wahrscheinlichkeit solch einer adversen Entwicklung hat sich aber ehrlicherweise zuletzt deutlich erhöht.
Analyst: Christian Lips, Chefvolkswirt
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