ZEW-Umfrage: Finanzmarktexperten wegen Ukrainekrieg in Schockstarre - Nord LB
Heute Vormittag hat das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) aktuelle Ergebnisse seiner monatlichen Konjunkturumfrage veröffentlicht. Die Daten wurden diesmal mit besonderer Spannung erwartet. Nach dem sentix-Konjunkturindex ist die ZEW-Umfrage erst der zweite bedeutende deutsche Stimmungsindikator, der die möglichen konjunkturellen Auswirkungen des Ukrainekrieges berücksichtigt. Und die Finanzmarktexperten zeigen sich vor dem Hintergrund des Krieges, der Sanktionen und Gegenmaßnahmen sowie der Unruhe an den Finanzmärkten regelrecht geschockt: Im Berichtsmonat März sind die Konjunkturerwartungen von +54,3 auf -39,3 Saldenpunkte abgestürzt. Der Einbruch um 93,6 Saldenpunkte stellt dabei mit Abstand den größten je gemessenen Rückgang binnen Monatsfrist dar und übertrifft so die ohnehin pessimistischen Erwartungen der zuvor befragten Analysten nochmal deutlich.
Auch die aktuelle Lage wird von den Finanzmarktexperten mit -21,4 Saldenpunkten deutlich schlechter beurteilt, wenngleich der Einbruch zum Vormonatswert hier mäßiger ausfällt. Dennoch deuten die Zahlen darauf hin, dass die Mehrheit von einer sehr zügig spürbar werdenden Dämpfung der wirtschaftlichen Aktivität ausgehen. Von dem ursprünglich für das Frühjahr erwarteten Post-Corona-Erholung scheint nicht viel übrig zu bleiben, zumal zuletzt auch die Infektionszahlen wieder deutlich angestiegen sind. Die Inflationserwartungen sind hingegen um 107,7 auf nun 70,2 Saldenpunkte massiv angestiegen. Die Mehrzahl der Analysten rechnet mit einer längeren Phase deutlich erhöhter Energiepreise, aber auch die Belastungen durch Material- und Lieferengpässe werden die Inflation in diesem Jahr noch zusätzlich anfachen.
Die Vorgaben für das ifo-Geschäftsklima in der kommenden Woche sind sehr schlecht, wenngleich noch abzuwarten ist, welche Bewertung die Unternehmen mit Blick auf den Energiepreisschub und die Handelseinbußen vornehmen. Vor allem erhoffen wir uns von den Einkaufsmanagerindizes sowie vom ifo-Geschäftsklimaindex aus erster Hand quantitative Hinweise auf das Ausmaß der Knappheitsproblematik bei wichtigen Vorprodukten durch Kriegs- und Sanktionsauswirkungen. Die Vielzahl anekdotischer Hinweise in den vergangenen Tagen aus den deutschen Chefetagen lassen leider wieder teils erhebliche Produktionsbehinderungen für die kommenden Wochen befürchten.
Die Mischung aus einer im freien Fall befindlichen Konjunkturstimmung und zugleich massiv steigenden Inflationserwartungen stellt die Europäische Zentralbank vor die schwierige Situation, ihre seit längerer Zeit zu expansive Geldpolitik zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt normalisieren zu müssen. In der März-Sitzung bereitete die EZB die Märkte auf ein baldiges Ende der Nettoankäufe auch beim APP vor. Allerdings basierten die jüngsten Beschlüsse der Währungshüter auf einer vermutlich deutlich zu optimistischen Konjunkturprognose. Der EZB stehen daher angesichts des wachsenden Risikos eines Stagflationsszenarios in den kommenden Monaten noch intensive interne Debatten über das richtige Maß der geldpolitischen Normalisierung ins Haus.
Fazit: Der Ukrainekrieg, die Auswirkungen der Sanktionen und Gegenmaßnahmen sowie die turbulenten Marktentwicklungen haben die Finanzmarktexperten im März in eine regelrechte Schockstarre versetzt. Die ZEW-Konjunkturerwartungen erlebten den stärksten je gemessenen Rückgang innerhalb eines Monats und notieren nur noch bei -39,3 Saldenpunkten. Auch die aktuelle Lage wird spürbar schlechter als im Vormonat beurteilt. Zugleich schießen die Inflationserwartungen wegen des Energiepreisschubs und einer drohenden Verschärfung der Knappheitsproblematik aufwärts. Wegen der Mischung aus einer im freien Fall befindlichen Konjunkturstimmung und zugleich massiv steigenden Inflationserwartungen stehen der EZB noch intensive Debatten über die richtige Geschwindigkeit und Dosis der geldpolitischen Normalisierung ins Haus.
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