Ausgesorgt - Börse München
Sondierungs-Sondierungen und galoppierende Benzinpreise bewegten uns diese Woche. In Großbritannien bildeten sich Schlangen vor Tankstellen, in Berlin vor Flughafenschaltern, Gemeinschaftserlebnisse sind nach langer Corona-Zeit augenscheinlich beliebt. Die Börsenampeln standen auf grün, die großen US-Banken meldeten Rekordergebnisse, die privaten Vermögen in Deutschland ebenfalls, doch in Sachen Konjunktur haben die Pessimisten die Nase vorn. Die passenden Schlagzeilen in Auswahl: „Privathaushalte so reich wie nie“ (Süddeutsche Zeitung), „Preise in den USA steigen im September um 5,4 Prozent“ (Handelsblatt), „Energiepreise treiben die Inflation in Deutschland“ (Die Welt), „Negativer Trend hält an: ZEW-Konjunkturerwartungen trüben sich weiter ein“ (WirtschaftsWoche) und „Deutschland wird nach unten durchgereicht“ (Die Welt). Wo immer auch unten ist.
Lösung
Was spiegeln uns die Titelseiten der Finanzmagazine von diesen Themen wider? Wenn wir es richtig lesen, kommt es dieses Mal auf die Reihenfolge an: „Zur Sicherheit Gold (Euro am Sonntag) „Kaufen“ (Focus Money), dann haben Sie „Ausgesorgt“ (Börse Online), denn „Das ist die Lösung“ (Capital). Nun, der Reihe nach. EaS hält Gold für den „Inflations- und Krisenprofiteur“, im Kurs hat sich das noch nicht niedergeschlagen. Focus Money will gar kein Gold kaufen, sondern „Immer-Gewinner“, (dabei ist der FC Bayern gar nicht börsennotiert), „Dividenden-Aristokraten“ und ein „perfektes Krypto-Portfolio“. Um uns das Heft besonders schmackhaft zu machen, wird darauf hingewiesen, dass es ganz besonders sei, denn: „Was Sie in dieser Ausgabe finden, haben Sie noch nie gelesen“. Würde sich auch als Oster-Ausgabe eignen. Da springen wir schnell zu Börse Online, denn in diesen sorgenvollen Zeiten wären wir gerne sorgenfrei und hätten ausgesorgt. Hier geht es um die „richtigen Fonds und ETFs für Ihren Vermögensaufbau“. Auf die Sorgen zielt Capital ab, denn „Die Welt ist voller Probleme. Aber auch voller Ideen und Projekte, sie anzugehen“. Wir bleiben zuversichtlich, auch wenn, apropos schmackhaft, uns eine der Ideen, beim Essen zu Insekten zu greifen, wenig ergötzt. Aber es kommt auf die Gewohnheit an und bald ist die Fliege in der Suppe kein Versehen, sondern integraler Bestandteil.
Geldschwemme
Warum gehen die Menschen an die Börse, fragte Kommentator Jan Schrader in der Börsen-Zeitung. Um zu arbeiten, könnten wir antworten, aber das war nicht sein Thema. Er versuchte es vielmehr mit Tatort-Schauspieler und Volksaktie als Begründung – die meisten der aktuellen Junganleger kennen diesen Kommissar jedoch gar nicht mehr, mit Fördergeldern aus der Riester-Rente und nicht zuletzt einer „Geldschwemme infolge einer Pandemie plus Negativzinsen auf große Gelbeträge“! Letzteres zwinge „börsenfaule Menschen zum Umdenken“, eine interessante Formulierung. Er hofft, dass dies zu mehr Aktienkultur führe, garantiert sei das aber noch lange nicht. Immerhin flossen 30 Milliarden Euro im zweiten Quartal laut Bundesbank-Statistik in Aktien und Fonds! Schrader betont aber, dass dies eine Produkt des Zufalls, der Pandemie sei, und nicht der Planung, die aber angesichts unserer Demographie dringend geboten sei. Sein Resümee, das wir nur unterstreichen können: „Die Pflege der Aktienkultur sollte also nicht nur Schauspielern, Influencern und schicken Apps überlassen werden“, vielmehr sollte sich auch die neue Bundesregierung darum kümmern. Wie auch immer sie sich zusammensetzt, Schauspieler, Influencer und schicke Apps sind definitiv nicht dabei.
Geduld
Einmal mehr avanciert die Abendzeitung München zum Anlageblatt, lautete der Aufmacher am Dienstag doch: „Teure Aktien für kleines Geld“. Wie das geht? Klar, „Anlegen mit Sparplan“. Wie man mit kleinen Summen auch teure Aktien erwerben kann, erklärt Autorin Veronika Csizi. Allerdings, nicht jeder Broker bietet diesen Service an und auch nicht in jede Aktie. Die A-Aktie von Berkshire Hathaway dürfte wohl kaum dabei sein, vermuten wir. Bei einem monatlichen Sparplan von 25 Euro bräuchte man bei ihr 1.207 Jahre, bis man eine Aktie erworben hätte…
Schlangen
Die Bilder von den langen Warteschlangen im neuen Berliner Flughafen haben die Runde gemacht. Der Flughafen war erstmals gefordert, denn in Berlin begannen (offensichtlich überraschend) die Herbstferien und viele wollten in den (ersten) Urlaub (seit Corona) starten. Der Ansturm war aber immer noch weit entfernt von normalen Vor-Corona-Zeiten. Und so schrieb Marcus Werner in der WirtschaftsWoche süffisant: „Schon das Gedrängel am BER macht urlaubsreif“ und schob nach: „Der Hauptstadtflughafen ist nur deshalb zeitgemäß, weil er den Menschen das Fliegen verleidet“. „Drängelbude in Holzbraun“ war da noch eine der schmeichelhafteren Bezeichnungen. Offensichtlich sollen Flughafengäste ökologisch durchgerüttelt werden – weg vom Fliegen, weg von der Massentierhaltung, die am eigenen Leibe nachempfunden werden soll. Wenn allerdings die Flieger trotzdem fliegen, während die Passagiere noch am Boden stehen, ist das für die CO2-Bilanz wenig förderlich.
Bildung
Der „Finanziellen Allgemeinbildung“ widmete die Börsen-Zeitung einen zweiseitigen Sonderteil. Ob es daran lag, dass es ausgerechnet der 13. war (aber kein Freitag), die Überschriften sind niederschmetternd: „Finanzieller Analphabetismus in Deutschland“, „Finanzwissen junger Erwachsener hält sich in Grenzen“, „Der Mangel ist bekannt, doch es passiert wenig“ lauten sie beispielsweise. Zu letzterer Überschrift würden einem viele weitere Problemfelder einfallen, von schnellen Internetanschlüssen bis zu ausreichend Wohnraum. Das Problem bei der Finanzbildung: junge Leute wünschen sich mehr finanzielle Bildung bereits in der Schule, doch die wird bisher als ausgesprochen mangelhaft wahrgenommen. Aber die Stundenpläne sind bereits voll. Was also weglassen, dürfte die große Frage sein.
Autor der Presseschau: Ulrich Kirstein, Bayerische Börse AG