ifo Geschäftsklima: Materialengpässe verzögern Aufschwung in der Industrie - Nord LB
Heute Vormittag hat das Münchner ifo-Institut aktuelle Ergebnisse seiner Konjunkturumfrage unter rund 9.000 deutschen Unternehmen veröffentlicht. Im Berichtsmonat September hat sich die Stimmung in der deutschen Wirtschaft weiter eingetrübt. Das ifo-Geschäftsklima für die gewerbliche Wirtschaft reduzierte sich den dritten Monat in Folge auf nun 98,8 Punkte und damit den tiefsten Wert seit April. Dies entspricht weitgehend den Erwartungen von Analysten und Volkswirten.
Die Ursachen für den erneuten Rücksetzer im laufenden Monat sind jedoch etwas anders gelagert als in den Vormonaten. Bei den Geschäftserwartungen ergab sich nach der spürbaren Abkühlung der beiden Vormonate nur noch ein leichter Rückgang auf 97,3 Punkte. Erstmals seit Januar schätzten die Unternehmen jedoch auch die aktuelle Lage weniger positiv als im Vormonat ein. Die ifo-Lagekomponente verringerte sich auf 100,4 Punkte, bleibt so aber über dem Vorkrisenniveau.
Vor allem die anhaltenden Liefer- und Materialengpässe sind als Ursache für die erneute Stimmungseintrübung zu nennen. Die Belastungen beherrschen bei immer mehr Industrieunternehmen das Tagesgeschäft und verzögern spürbar die Erholung der Produktion und verlangsamen damit spürbar den konjunkturellen Aufholprozess. Die Corona-Infektionszahlen scheinen hingegen für den Moment eine untergeordnete Rolle zu spielen. Zumindest zeigt sich das Geschäftsklima in den Sektoren, die in den vergangenen Corona-Wellen besonders belastet wurden, erstaunlich robust. Während im Handel die Stimmung annähernd auf dem Niveau des Vormonats blieb, zeigten sich Dienstleistungsunternehmen mit Blick auf die nähere Zukunft sogar deutlich optimistischer. Auch im Bausektor verbesserte sich die Stimmung weiter, obwohl auch hier Knappheiten herrschen.
Der wichtigste Indikator für die Stimmungslage in den deutschen Unternehmen vollzog im September den dritten Rückgang in Folge, was in normalen Zeit eine relativ verlässliche Daumenregel für einen beginnenden Abschwung darstellen würde. Dies wäre aus unserer Sicht jedoch eine Fehlinterpretation der aktuellen Situation. Vielmehr kommt in den aktuellen Zahlen vor allem eine Zweiteilung der aktuellen Konjunkturentwicklung zum Ausdruck. Ein großer Teil der deutschen Wirtschaft profitiert weiter von den seit dem Frühjahr relativ niedrigen Belastungen durch die Corona-Pandemie. Vor allem der Dienstleistungssektor hat das Wachstum im dritten Quartal unterstützt.
Andererseits wird die deutsche Industrie durch Flaschenhälse bei wichtigen Vorprodukten und Rohstoffen weiter ausgebremst. Bis ins nächste Jahr hinein dürften die angebotsseitigen Restriktionen die wirtschaftliche Aktivität spürbar dämpfen. Der Erholungsprozess für die Industrie ist aber wahrscheinlich nur aufgeschoben und nicht aufgehoben. Hierfür spricht, dass sich die Nachfrageseite bis zuletzt als äußerst robust präsentierte. Mit einem sukzessiven Überwinden der angebotsseitigen Engpässe dürften sich dann Aufholeffekte einstellen und die Konjunktur wieder anschieben. Für das laufende Jahr haben wir jedoch unsere Konjunkturprognose auf 2,7% gesenkt.
Fazit: Die Stimmung der deutschen Unternehmen hat sich im September weiter eingetrübt. Der ifo-Geschäftsklimaindex ging auf 98,8 Punkte zurück. Während der Rückgang bei den Erwartungen zumindest abgebremst wurde, wurde auch die aktuelle Lage erstmals seit Januar schwächer als im Vormonat beurteilt. Die Konjunktur verläuft derzeit zweigeteilt: Dienstleister und Handel profitieren von geringeren Corona-Belastungen, während Materialengpässe immer spürbarer die Industrie ausbremsen. Grundsätzlich bleibt das Aufschwungsszenario intakt, der Aufholprozess verzögert sich jedoch durch die Flaschenhälse bei der Industrieproduktion. Daher fällt unsere BIP-Prognose für 2021 mit 2,7% geringer aus, während für 2022 ein kräftiges Wachstum von mehr als 4% wahrscheinlich ist. Da Knappheiten sowohl die Konjunktur- als auch die Inflationsrisiken erhöhen, wird die EZB weiter auf Zeit spielen. Zumindest für die Eurozone sind Zinserhöhungen noch in weiter Ferne.