Gamestop: Kleinanleger gegen „Big Money” der Wall Street - Interview mit sino-Vorstand Ingo Hillen
Eine Achterbahnfahrt bei Gamestop-Aktien und anderen Werten, ein konzertiertes Vorgehen von Kleinanlegern, die sich über das Internet organisieren, der Beinahe-Zusammenbruch eines US-Hedgefonds: Die vergangene Woche hat für Ausnahmezustände bei Anlegern, Börsen und Brokern gesorgt. Im Interview mit der 4investors-Redaktion spricht Ingo Hillen, Vorstand der sino AG aus Düsseldorf, über die Extremsituation an der Börse. „Ich halte das Vorgehen von Trade Republic für richtig”, sagt Hillen zur zeitweiligen Sperre von Kaufaufträgen bei bestimmten Aktien, von denen Kunden nicht nur bei Trade Republic, sondern unter anderem auch in den USA bei RobinHood betroffen waren. Neue Regeln für Leerverkäufe braucht der Markt trotz der Eskalation bei Gamestop aber nicht, glaubt Hillen.
www.4investors.de: Herr Hillen, als Vorstand des Brokers sino AG sind Sie bestimmt eng am Börsengeschehen. Die Kursturbulenzen vor allem bei Aktien wie Gamestop und AMC Entertainment, aber auch in geringerem Maße bei Titeln wie Evotec, Nokia oder Varta haben die Groß- und Kleinanleger in den letzten Tagen kräftig in Atem gehalten. Was ist - aus Ihrer Sicht - da eigentlich genau passiert? Läuft wirklich der in den Medien viel zitierte Kampf von Kleinanlegern gegen die Großen der Wall Street?
Hillen: Nach meinem Verständnis hat eine wahre „Kaufflut“ durch Kleinanleger, die sich im Internet ausgetauscht haben, in der letzten Woche dazu geführt, dass bestimmte Aktien, die zuvor, z.B. von Hedgefonds, massiv leerverkauft waren, stark gestiegen sind.
Diese stark steigenden Kurse haben wohl zu Zwangseindeckungen geführt, was wiederum die Kurse hat steigen lassen und möglicherweise zu weiteren Käufen geführt hat. So eine Volatilität – bei einem Kursanstieg – habe ich, 33 Jahre nachdem ich selbst meine ersten Aktien gekauft habe, noch nicht erlebt. Es übertrifft sogar den Short-Squeeze bei VW im Jahr 2008, an den ich mich noch recht gut erinnern kann.
Es ist wohl das erste Mal in der Geschichte, dass Kleinanleger einen Hedgefund an den Rand des Zusammenbruchs gebracht haben.
www.4investors.de: Die sino AG konzentriert sich ja auf Heavy Trader – es dürfte auch auf sinos Handelsplattformen hoch und für sino als Broker ertragreich her gegangen sein in den ersten Tagen dieses Jahres? Wie haben sich die Handelsvolumina entwickelt?
Hillen: Das Tradingaufkommen war im Januar bei uns sehr hoch und wir und viele unsere Kunden haben gut verdient.
www.4investors.de: Und gab es bei Ihren Systemen Engpässe?
Hillen: Nein, gar keine. sino ist 1998 gegründet worden, in der Finanzkrise 2008 hatten wir ein ähnlich hohes Orderaufkommen, allerdings auch fast doppelt so viele Kunden. Auch deshalb hätten wir ein Vielfaches dessen, was Mittwoch und Donnerstag gehandelt wurde, abwickeln können.
www.4investors.de: Trade Republic hat aufgrund des zeitweiligen Sperrens von Kaufaufträgen für diverse Aktien wie unter anderem Gamestop heftige Kritik einstecken müssen. Sie persönlich und die sino AG waren beim Aufbau von Trade Republic maßgeblich beteiligt, sino ist über eine Tochtergesellschaft weiter an Trade Republic beteiligt und Sie dürfen daher noch immer eng dran sein an dem Unternehmen. War die Entscheidung, Käufe in einigen Aktien temporär zu sperren, aus Ihrer Sicht richtig und notwendig, oder ist die Kritik berechtigt?
Hillen: Ich bin zwar Board Member, kann allerdings nicht für Trade Republic sprechen. In der Kommunikation mit Kunden und der Presse hat Trade Republic betont, dass es „um die Stabilität des Handels“ ging, das Orderaufkommen war einfach exorbitant – schauen sie sich die Umsätze an der LS-X an. Möglicherweise hat man bei Trade Republic aufgrund dieses „außergewöhnlich hohen Handelsaufkommens“ ein Risiko für die Stabilität der Handelssysteme gesehen, wenn die Kurse einbrechen würden und die Orderaktivität in einem solchen Fall dann nochmals deutlich zugenommen hätte.
Trade Republic bedauert sehr, dass die Kunden nicht mit der gewohnten Zuverlässigkeit handeln konnten und hat sich dafür entschuldigt. Ich halte das Vorgehen von Trade Republic für richtig und war und bin damit absolut einverstanden. Natürlich bedauere ich diese Schwierigkeiten in der letzten Woche auch sehr. Trade Republic war in den letzten Monaten äußerst stabil, bei bereits sehr hoher Volatilität und sehr großen Umsätzen.
Und lassen sie mich bitte eins, bei allem Respekt, hinzufügen: Diejenigen neuen Anbieter, die nun sehr schnell erklärt haben, dass man bei ihnen alles handeln könne, sollten erst einmal in solche Umsatz- und Kundendimensionen vorstoßen.
www.4investors.de: Beim US-Broker RobinHood waren offenbar Liquiditätsengpässe die Gründe, einige Aktien für Kaufaufträge zu sperren. Gab es ähnliche Gründe auch bei Trade Republic?
Hillen: Die Situation von RobinHood beurteile ich gegenüber Trade Republic fundamental anders. RobinHood bietet Handel auf Kredit – Margintrading – an. Die Clearinghäuser haben, nachdem was ich höre, die Sicherheitsleistungen für bestimmte Aktien mutmaßlich deutlich erhöht. Das heißt, die Broker müssen mehr Kapital hinterlegen. RobinHood hat wohl auch deshalb laut Presseberichten in erheblichem Umfang Kapital eingeworben. Im Internet war außerdem von Zwangsliquidierungen durch RobinHood bei Kunden die Rede. Dies und die Tatsache, dass RobinHood mit Hedgefunds kooperiert, ergibt bei den Handelseinschränkungen eine erklärungsbedürftige Mischung.
Trade Republic bietet kein Margintrading an und kooperiert nicht mit Hedgefunds. Es erfolgten auch, soweit ich weiß, keinerlei Zwangsliquidierungen. Die Handelseinschränkungen hatten – siehe oben – den Grund, die Stabilität des Handels für alle Kunden und alle Geschäfte zu gewährleisten.
Trade Republic hat (nochmal) erklärt, dass sie für einen „freien, einfachen und provisionsfreien Zugang zum Kapitalmarkt“ stehen und an „die Freiheit von Angebot und Nachfrage“ glauben. Das teile ich zu 100 Prozent. Hinter der Handelsbeschränkung stand keinerlei Paternalismus oder die Unterdrückung irgendeines angeblich „unliebsamen“ Handels. Das passt auch nicht zu den handelnden Akteuren bei Trade Republic. Im Übrigen: Trade Republic verdient Geld damit, dass Kunden handeln. Je mehr Handel, desto besser für Trade Republic. Warum sollte man dies ohne zwingenden Grund einschränken?
www.4investors.de: Hätten statt der Broker nicht die Börsen oder Aufsichtsbehörden mit Handelsaussetzungen eingreifen müssen, um die Lage zu beruhigen?
Hillen: Ich bin ein liberaler Mensch und möchte, dass sino Kunden möglichst alles zu möglichst jeder Zeit handeln können. „Let the people trade“, hieß es in einem Tweet von RobinHood aus dem Jahr 2016. Sollte es Kurs- und Marktpreismanipulationen gegeben haben, muss das natürlich untersucht und geahndet werden. Ich bin kein großer Fan von Handelsaussetzungen. Wenn allerdings Handelsplätze das Volumen nicht mehr bewältigen können, dann kann es auch zu Störungen kommen. Bitte erlauben Sie mir den Hinweis, dass selbst die Deutsche Börse des Öfteren Probleme hatte, zuletzt am 1. Juli letzten Jahres mit einem mehrstündigen Xetra-Ausfall.
www.4investors.de: Bergen solche Marktturbulenzen wie in den letzten Tagen Gefahren für das Finanzsystem und die Börse, insbesondere mit Blick auf die hohen Fremdfinanzierungen bei vielen Hedgefunds?
Hillen: Ich hoffe nicht … denke dies allerdings auch nicht. Hedgefunds hatten auch früher schon massive Verluste, wenn auch aus anderen Gründen. Sicherlich werden Banken und Kapitalgeber die Höhe der Fremdfinanzierung überdenken und aus diesen Entwicklungen lernen. Keiner von uns kann allerdings vorhersagen, was passiert, wenn ein großer Hedgefund „kippt“.
www.4investors.de: Brauchen wir aus Ihrer Sicht in den USA und Europa neue Regeln und Begrenzungen für Leerverkäufe, oder muss es andere Konsequenzen aus den Vorfällen um Gamestop & Co. geben?
Hillen: In Europa und Deutschland definitiv nicht. Die Regularien sind bereits sehr streng. Leerverkäufe sind auch per se nichts Schlechtes. Short Seller helfen Bewertungsblasen und sonstige Fehlbewertungen von Assets aufzuzeigen. Wenn Leerverkäufe nicht so, für mich unverständlich hart in der EU reguliert worden wären, hätte es die (mutmaßlich Milliarden-) Verluste von Kleinanlegern bei Wirecard wohl nicht gegeben. Transparenz, z.B. über Meldepflichten ab einer bestimmten Positionsgröße, die es in der EU gibt, finde ich sehr sinnvoll. Ich bin fest davon überzeugt: Je mehr Menschen das gleiche Gut auf demselben Markt handeln können, desto besser ist die Preisfindung – zum Nutzen aller. Let the people trade … Das gilt aus meiner Sicht auch für Leerverkäufer.