Euroland BIP: Rasante Aufholjagd in Q3, vor neuerlichem Rückschlag - Nord LB Kolumne
Die europäische Statistikbehörde Eurostat hat heute ihre erste Schätzung zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in der Eurozone im dritten Quartal veröffentlicht. Wie erwartet hat die europäische Wirtschaft in den Sommermonaten nach dem Abflauen der ersten Welle in der Coronakrise sehr zügig einen Gutteil des Einbruchs der Wirtschaftsleistung wieder wettmachen können. Das preis- und saisonbereinigte Bruttoinlandsprodukt ist im Vergleich zum Vorquartal sehr rasant um 12,7% gewachsen und hat damit deutlich die Konsensschätzung übertroffen.
Viele Mitgliedsländer weisen ebenfalls zweistellige Zuwachsraten aus (Frankreich +18,2%, Spanien +16,7% und Italien +16,1%). Dies gilt insbesondere für die Volkswirtschaften, deren Wirtschaftsleistung im Frühjahr überproportional stark eingebrochen war. Auch für Deutschland wurde mit +8,2% Q/Q ein Rekordwachstum gemeldet. Die Zahlen sind jedoch teilweise nur eingeschränkt vergleichbar, da der Umgang der Statistikbehörden mit der Messung krisenbedingter Ausfälle offenbar unterschiedlich war. So weist das französische Statistikamt INSEE anders als andere Staaten beim öffentlichen Konsum (wegen des Arbeitsausfalls) eine sehr erratische Entwicklung aus.
Die Jahresrate des Euroland-BIP kletterte ebenfalls kräftig, notiert mit -4,3% Y/Y jedoch weiterhin klar im negativen Terrain. Die Wirtschaftsleistung liegt demnach selbst nach diesem fulminanten Aufholprozess noch deutlich unter dem Vorkrisenniveau. Dies macht deutlich, dass einzelne Quartalswerte nicht isoliert interpretiert werden sollten. Dies gilt grundsätzlich auch für den näheren Wirtschaftsausblick: Das Ausmaß des Bremseffekts der zweiten Welle in der Coronakrise, der vor allem im laufenden Quartal spürbar werden wird, determiniert auch das Aufholpotenzial für die Folgezeit.
Konkret heißt dies, dass das aktuelle Infektionsgeschehen und die staatlichen Eindämmungsmaßnahmen wahrscheinlich eine neuerliche Kontraktion in Q4 nach sich ziehen werden, wenngleich der Einbruch weitaus milder ausfallen wird als im Frühjahr. Hierfür spricht, dass aktuell kaum angebotsseitige Restriktionen durch erneute Unterbrechungen von Lieferketten spürbar sind und zum anderen die Exportnachfrage recht stabil bleiben dürfte. Insbesondere die Nachfrage aus Asien bleibt hoch, da dort viele Staaten aktuell sehr viel besser durch die Pandemie kommen als Europa.
Auch scheinen die nun ergriffenen staatlichen Maßnahmen mit Blick auf Wirtschaft und Beschäftigung zumindest etwas zielgerichteter nach den Erfahrungen des ersten Lockdowns zu sein. Zugleich stehen die Chancen sehr gut, dass der konjunkturelle Aufholprozess mit dem Brechen der zweiten Welle wieder deutlich an Fahrt aufnimmt. Allerdings kann die ökonomische Aktivität nicht beliebig oft per Knopfdruck herauf- und wieder heruntergefahren werden. Mit der Dauer der Coronakrise und der Zahl der Eindämmungsphasen nehmen die Risiken dauerhafter Schäden für die Wirtschaft erheblich zu. Neben den akut leider weitgehend unumgänglichen Maßnahmen muss daher dringend ein nachhaltigeres und umfassenderes Konzept für Wirtschaft, Arbeit, Kultur und Bildung unter den Bedingungen der Pandemie entwickelt werden.
Fazit: Die Wirtschaft der Eurozone hat sich im Sommer wie erwartet sehr rasant von dem Coronaschock im Frühjahr erholt. Das reale Bruttoinlandsprodukt hat mit einer Rekordwachstumsrate von 12,7% gegenüber dem Vorquartal einen Gutteil des Einbruchs im ersten Halbjahr wettmachen können, bleibt jedoch noch deutlich unter dem Vorkrisenniveau. Niedrige Infektionszahlen und staatliche Lockerungen haben diesen dynamischen Aufholprozess möglich gemacht. Gleichwohl sind mit der grassierenden zweiten Welle am europäischen Konjunkturhimmel erneut dunkle Wolken aufgezogen. Die Teil-Lockdowns werden eine abrupte Unterbrechung des konjunkturellen Aufholprozesses nach sich ziehen. Dies ist der Hauptgrund für die klare Ankündigung der EZB, das gesamte geldpolitische Instrumentarium im Dezember neu zu kalibrieren. Die Zeit der Stabilisierungspolitik ist angesichts der ungelösten Gesundheitskrise noch lange nicht vorbei.