ZEW-Umfrage: Zweite Welle wirkt als Euphoriebremse - Nord LB Kolumne
Heute Vormittag hat das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) die Ergebnisse seiner monatlichen Konjunkturumfrage unter Volkswirten, Analysten und Fondsmanagern veröffentlicht. Im Oktober hat demnach die Stimmung unter den Finanzmarktexperten einen spürbaren Dämpfer erhalten. Im Vergleich zum Vormonat reduzierten sich die Konjunkturerwartungen für Deutschland deutlich von 77,4 auf 56,1 Saldenpunkte. Auch bei den Erwartungen für die Eurozone hat sich der Aufwärtstrend der Vormonate nicht fortsetzen können. Im Gegenteil, der Indikator verringerte sich ebenfalls spürbar von 73,9 auf 52,3 Punkte.
Parallel hierzu hat sich die aktuelle konjunkturelle Situation nach Ansicht der Umfrageteilnehmer aber weiter verbessert. Die Lagekomponente kletterte von -66,2 auf -59,5 Saldenpunkte und damit den höchsten Wert seit dem Beginn der Pandemie im März. Während dies etwa der Konsensprognose von Bloomberg entspricht, haben die befragten Analysten und Volkswirte nur einen moderaten Rückgang der Erwartungen antizipiert. Insofern müssen die heutigen Zahlen aus Mannheim als negative Überraschung gewertet werden. Zunächst wenig beeindruckt zeigte sich der deutsche Aktienmarkt, der ohnehin seit Wochen und Monaten eine fast schon erstaunliche Stärke angesichts der Corona-Krise an den Tag legt. Trotz der schwächer als erwartet ausgefallenen Konjunkturdaten hielt sich der DAX klar oberhalb der letzte Woche erklommenen Marke von 13.000 Punkten.
Die Gründe für die verhaltenere Konjunktureinschätzung der Finanzmarktexperten liegen auf der Hand. Vor allem das deutlich beschleunigte Infektionsgeschehen in weiten Teilen Europas, was mit Fug und Recht als zweite Welle bezeichnet werden kann, hat Sorgen vor neuen Belastungen für die wirtschaftliche Aktivität angeheizt. In Frankreich wird sogar ein zweiter Lockdown inzwischen nicht mehr völlig ausgeschlossen. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass die konjunkturelle Lage für die Eurozone mit -76,6 Punkten in Relation zu Deutschland deutlich schlechter beurteilt wird. Zudem fiel die Verbesserung zum Vormonat vergleichsweise schwach aus.
Die sich aufbauende zweite Welle wirkt auf die Wirtschaftsstimmung wie eine Euphoriebremse. Zwar ist für das dritte Quartal in fast allen großen entwickelten Volkswirtschaften eine Rekordwachstumsrate infolge des Aufholeffekts zu rechnen. Beim Blick nach vorn dominieren aktuell eher wieder aufziehende dunklere Wolken das Bild. Nach sieben Monaten Erfahrung mit der Coronavirus-Pandemie gibt es jedoch Anlass zur Hoffnung. Mit intelligenteren Eindämmungsmaßnahmen und mit Disziplin bei den relativ einfachen Verhaltensregeln sollte wirtschaftliche Aktivität tendenziell weiter ermöglicht und nicht wie im Frühjahr zusätzlich lahmgelegt werden.
Auf der Stimmung lasten neben der Corona-Krise aktuell auch weitere Unsicherheitsfaktoren wie die bevorstehenden US-Wahlen oder der unbefriedigende Verlauf der Brexitverhandlungen. Diese Belastungen für das Sentiment im Herbst waren antizipierbar und Begründung für unser „Swoosh“-Konjunkturbild. Wir halten daher an unserer Wachstumsprognose für Deutschland von -5,8% (2020) und +4,3% in 2021 vorerst fest und erwarten bei den europäischen Zinsen keine nachhaltige Aufwärtsbewegung. Die EZB dürfte vielmehr eine erneute Ausweitung des PEPP ins Auge fassen.
Fazit: Die Konjunkturstimmung der Finanzexperten hat sich im Oktober spürbar eingetrübt. Die ZEW-Konjunkturerwartungen sackten um mehr als 20 Saldenpunkte auf 56,1 Punkte ab. US-Wahlen, Brexit und die zweite Corona-Welle wirken aktuell wie eine Euphoriebremse. Diese Effekte sind Begründung für unser „Swoosh-Konjunkturbild“ für Europa, also eine erhebliche Abflachung der Erholung nach dem Aufholeffekt im dritten Quartal. Wir halten daher an unserer Konjunktur- und Zinsprognose fest. Die EZB steht auch wegen der sehr schwachen Inflationsentwicklung unter Druck, schon bald das PEPP erneut auszuweiten.