Deutsche Wirtschaft bricht im zweiten Quartal dramatisch ein - Nord LB Kolumne
Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden hat heute Vormittag eine vorläufige Schätzung zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts im zweiten Quartal 2020 veröffentlicht. Demnach verursachten die Belastungen durch die Coronakrise im Frühjahr wie erwartet einen beispiellosen Einbruch der Wirtschaftsleistung. Das preis-, saison- und kalenderbereinigte BIP ging dramatisch um -10,1% gegenüber dem Vorquartal zurück, die Jahresrate sackte auf -11,7% Y/Y ab. Der private Konsum, die Exporte und Importe sowie die Ausrüstungsinvestitionen brachen teils heftig ein. Etwas stabilisierend haben einzig vermehrte staatliche Konsumausgaben gewirkt.
Die Ergebnisse liegen sogar noch erheblich unter den ohnehin wenig optimistischen Prognosen der zuvor befragten Analysten und Volkswirte. Für das angekratzte Marktsentiment waren die desaströsen Wirtschaftsdaten selbstredend keine Hilfe. Der deutsche Aktienmarkt leidet heute Vormittag unter einem verstärkten Abwärtsdruck, der DAX fiel sogar unter die Marke von 12.600 Punkten. Auch die Kapitalmarktzinsen tendierten weiter abwärts, die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen sank heute deutlicher unter die Marke von -0,50%, die sich in den vergangenen Wochen als Untergrenze herausgebildet hatte.
Der zweistellige BIP-Einbruch ist mit Abstand der stärkste Rückgang der Wirtschaftsleistung seit dem Beginn der vierteljährlichen BIP-Berechnungen im Jahr 1970 und stellt auch den Absturz während der globalen Finanzkrise 2008/2009 in den Schatten. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Pandemie in Deutschland ab Mai unter Kontrolle war, was sukzessive immer mehr wirtschaftliche Aktivität wieder zugelassen hat. Seither ist auch in den schneller verfügbaren Wirtschaftsdaten eindeutig ein Aufholprozess zu erkennen, ohne den ein noch deutlich stärkerer Wirtschaftseinbruch im Frühjahr zu vermelden gewesen wäre. Auch am Arbeitsmarkt ist die laufende Erholung angekommen. Erstmals seit der Krise ging die Arbeitslosenzahl saisonbereinigt wieder zurück (-18.000). Gleichwohl sind nach wie vor viele Beschäftigte in Kurzarbeit; ohne dieses Instrument wäre es auch in Deutschland zu einem viel dramatischeren Anstieg der Arbeitslosigkeit gekommen.
Auch wenn die Unsicherheit durch die Krise und die höhere Aktualität der heutigen Schnellschätzung stärkere Revisionen als üblich wahrscheinlich macht, wird es an dem grundsätzlichen Konjunkturbild keine Veränderungen geben: Die deutsche Wirtschaft hat ein katastrophales erstes Halbjahr hinter sich und es wird eine lange Zeit dauern, bis das Vorkrisenniveau wieder erreicht wird. Wir gehen davon aus, dass dies auch bei einem günstigen Verlauf der Pandemie nicht vor dem Jahr 2022 der Fall sein wird. Deutschland ist bislang sogar noch besser durch die Krise gekommen als die meisten anderen europäischen Staaten. Dies gilt vor allem für den Vergleich mit Italien, Spanien und Frankreich, wo der Pandemieverlauf deutlich schwerer war. Entsprechend dramatisch werden die morgigen Zahlen von Eurostat ausfallen. Das EU-Finanzpaket ist angesichts der Tiefe der Krise sicher nicht zu groß bemessen. Auch auf die EZB wird der Druck zunehmen, noch einmal nachzulegen. Die Krise wird jedenfalls lange Zeit nachwirken und die europäische Wirtschaft länger auf Unterstützung angewiesen sein als Optimisten zuletzt gehofft hatten.
Fazit: Die deutsche Wirtschaftsleistung ist im zweiten Quartal dramatisch eingebrochen. Infolge der Coronakrise verringerte sich das Bruttoinlandsprodukt zum Vorquartal um -10,1%. Die deutsche Wirtschaft hat sich zwar aus der Schockstarre des Aprils lösen können und befindet sich seither in einem Aufholprozess. Für das Gesamtjahr 2020 ergibt sich wie befürchtet die schärfste Rezession der Nachkriegszeit, die nur durch einen Dreiklang aus Begrenzung und Eindämmung der Pandemie sowie wirtschaftspolitische Unterstützung durch Geld- und Fiskalpolitik zu bewältigen ist. Die EZB wird daher sicher noch einmal nachlegen.