ZEW-Umfrage: Experten setzen auf Erholung im zweiten Halbjahr - Nord LB Kolumne
Heute Vormittag hat das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) die Ergebnisse seiner monatlichen Umfrage unter Volkswirten, Analysten und Fondsmanagern veröffentlicht. Im Mai hat sich erwartungsgemäß die im Vormonat angedeutete Entwicklung bei diesem Konjunkturindikator fortgesetzt. So bestimmen zwar selbstverständlich nach wie vor die Coronavirus-Pandemie und ihre ökonomischen Folgen die Einschätzungen der Finanzmarktexperten. Im Vergleich zum Vormonat haben sich jedoch die Konjunkturerwartungen auf 51,0 Saldenpunkte weiter verbessert, was immerhin dem höchsten Stand seit dem Frühjahr 2015 entspricht.
Die Komponente für die aktuelle Lage ist hingegen nochmal etwas weiter abgesunken und notiert mit -93,5 Saldenpunkten auf dem tiefsten Stand seit Mitte 2003. Angesichts des heftigen Wachstumseinbruchs antworten demnach nur noch 6,5% der befragten „Experten“, die aktuelle Lage sei als „gut“ oder „zufriedenstellend“ zu bewerten. Von dieser Basis ausgehend erklärt sich ein Großteil des auf den ersten Blick optimistisch anmutenden Anstiegs der Erwartungskomponente.
Es ist zwar wegen der ungewissen Pandemieentwicklung viel zu früh, bereits einen konjunkturellen Wendepunkt hieraus ableiten zu wollen. Zumindest setzen die Finanzmarktexperten aber auf eine Bodenbildung bis zur Jahresmitte und eine teilweise Erholung im zweiten Halbjahr. Bei aller Unsicherheit erscheint dies das plausibelste Szenario zu sein. Die Konjunkturerwartungen für die Eurozone klettern am aktuellen Rand ebenfalls nochmal deutlich auf 46,0 Punkte.
Die heute gemeldeten Daten des ZEW passen gut zum Kursverlauf des DAX in den letzten Wochen. Zum Auftakt dieser Woche setzte er zu einer kräftigen Zwischenerholung bis auf über 11.000 Punkte an, dieses Niveau konnte heute allerdings nicht ganz gehalten werden. Auch in den kommenden Wochen muss mit einer anhaltend hohen Volatilität gerechnet werden, da sich immer wieder Meldungen zu ermutigenden Entwicklungen bei der Pandemiebekämpfung mit Nachrichten über Rückschläge und schwerwiegende ökonomische Folgewirkungen abwechseln werden.
Die erneute Verbesserung der Konjunkturerwartungen im Mai fällt zeitlich zusammen mit sukzessiven Lockerungen der strikten Maßnahmen zur Pandemieeindämmung, was zumindest mit einer etwas höheren wirtschaftlichen Aktivität als im harten Lockdown einhergehen dürfte. Allerdings wird der Weg zur Erholung nicht einfach werden, viele Unternehmen beobachten trotz Lockerungen eine anhaltende Konsumzurückhaltung. Um eine kräftige Erholung zu ermöglichen, muss der entstandenen Verunsicherung und Nachfragelücke durch einen diskretionären Impuls der Wirtschaftspolitik in Form eines Konjunkturprogramms begegnet werden. Hierbei sollten die klassischen Kriterien beachtet werden: Die Maßnahmen müssen zeitnah, zielgerichtet und vorübergehend wirken. Vor allem wird der Impuls aber auch kraftvoll sein müssen, da die deutsche Wirtschaft im laufenden zweiten Quartal vor einem historischen Einbruch der gesamtwirtschaftlichen Aktivität steht.
Fazit: Die ZEW-Konjunkturerwartungen kletterten im Mai auf 51,0 Saldenpunkte, allerdings verschlechterte sich nochmals die Lagebeurteilung leicht auf -93,5 Saldenpunkte. Die ZEW-Umfrage belegt damit zwar einen gewissen Optimismus der Finanzmarktexperten, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung im zweiten Halbjahr wieder aufhellen wird. Die Erwartung einer Verbesserung ist aber zum einen nicht sonderlich gewagt, bedenkt man den nicht mehr abzuwendenden historischen Wirtschaftseinbruch im zweiten Quartal. Zum anderen lässt der Indikator noch keine Rückschlüsse über das wahrscheinliche Tempo und Ausmaß der Erholung zu. Diesbezüglich bleiben das Ausmaß der Lockerungen sowie die Vermeidung einer ausgeprägten zweiten Infektionswelle die wichtigsten Determinanten. Zunehmend wird aber auch die Notwendigkeit eines Konjunkturprogramms in den Fokus rücken.