Wirecard gegen Financial Times: Fadenscheinige Begründung? - Kommentar
„Mensch! Dan McCrum is innocent, ok?“, betitelt Paul Murphy einen aktuellen Beitrag auf dem Blog „Alphaville“ der Financial Times zum Thema Wirecard. Doch die Argumente, mit denen der Leiter der „FT“-Investigativrecherche seinem unter Druck geratenen Autor zur Seite springt, sind teils dünn.
Seit die „Financial Times“ (FT) mit einer Reihe kritischer Berichte zu Wirecard den Aktienkurs des DAX-notierten Unternehmens zum Absturz brachte, tobt zwischen der Zeitung und dem Unternehmen der Kampf um Glaubwürdigkeit und Deutungshoheit. Stand zunächst vor allem Wirecard unter Druck, so hat sich das Blatt zuletzt gewendet. Der Verdacht, dass Shortseller vorab von den Berichten der „FT“ Bescheid wussten und so risikolos abkassieren konnten, steht im Raum. Dass die BAFin zuletzt ein Verbot des Auf- und Ausbaus neuer Nettoleerverkaufspositionen erlassen hat, hat diesen Verdacht nicht gerade aufweichen lassen.
Ob er zutrifft, ist allerdings völlig unklar. Denkbar sind viele Optionen: Von einer sauberen Berichterstattung über eine Instrumentalisierung der Zeitung durch Shortseller bis hin zu journalistischem Fehlverhalten ist – nach aktueller Informationslage – alles denkbar.
So wie sich vorab Wirecard gegen die Berichte der „FT“ zur Wehr gesetzt hat, setzt sich nun die britische Zeitung zur Wehr. Einige der Argumente, die die Zeitung dabei für sich verbucht, sind allerdings fragwürdig und taugen nur bedingt als Beweis der eigenen Unschuld.
Die Argumentation, die Murphy als Beweis seiner These anführt, dass es keine Manipulation gab, stützt sich vor allem auf zwei Thesen: Zum einen die unstrittigen Tatsache, dass der Kurssturz der Wirecard Aktie erst nach der Publikation des ersten „FT“-Berichts erfolgte. Zum anderen, so Murphy, sei das Short-Interest in der Wirecard Aktie vor dem ersten „FT“-Bericht im Vergleich zu historischen Werten sehr gering gewesen und erst nach dem Bericht sprunghaft angestiegen. Auch das ist unstrittig.
Was auf den ersten Blick also völlig plausibel klingt, ist auf den zweiten Blick aber alles andere als ein Nachweis der Unschuld.
Murphys Daten, die in zwei Grafiken auf dem Blog präsentiert werden, versagen an zwei entscheidenden Stellen. Zum einen sagt weder die relative noch die absolute Höhe des Short- Interests irgendetwas darüber aus, wer diese Positionen hält und von fallenden Wirecard Aktienkursen profitiert. Damit bleibt absolut offen, ob eventuell vorab informierte Adressen zum Zeitpunkt der „FT“-Berichterstattung short in dem DAX-Wert waren oder nicht. Darüber hinaus wäre auch eine indirekte Spekulation auf fallende Wirecard Kurse über entsprechende Derivate oder Instrumente auf den DAX selbst möglich gewesen. Zwar ist das Papier in dem Index nicht allzu hoch gewichtet, die schiere Wucht der Verluste belastete den DAX dennoch deutlich – auch hier konnte mit Short-Positionen verdient werden.
Zum anderen zeigt der Verlauf des Short-Interests in der Wirecard Aktie schon in den Wochen vor den „FT“-Berichten einen Anstieg. Das unmittelbar vor den Berichten erreichte Niveau war laut Murphys eigener Grafik vergleichsweise nicht besonders hoch, doch deutlich höher als im dritten Quartal 2018. Zur Erinnerung: Das Allzeithoch erreichte die Wirecard Aktie im September, ausgerechnet in dem Zeitraum vor und um dieses Allzeithoch war das Short-Interest in dem Papier sehr niedrig und lag deutlich unter dem Niveau zum Zeitpunkt vor dem Start der „FT“-Berichteserie.
Das weicht ein weiteres Argument von Murphy stark auf: Der „FT“-Autor erklärt den Anstieg des Short-Interests im Vorfeld der „FT“-Berichte zu Wirecard mit dem Kursanstieg der Aktie im Vorfeld. Tatsächlich war diese in den ersten Wochen des Jahres von 126 Euro auf 170 Euro geklettert. Doch das muss nicht zwingend dafür verantwortlich sein, dass das Short-Interest zum Ende Januar hin deutlich nach oben springt, wie Murphys eigene Grafik zeigt. Der Autor argumentiert nun, dass einige Shortseller die Aktie klar als heißgelaufen angesehen haben. Nur wo waren die in der zweiten Jahreshälfte 2018 und insbesondere im Juli und August 2018, als Wirecard zur Rallye Richtung 200 Euro ansetzte und deutliche Zeichen zu sehen waren, dass die Börse im Vorfeld der DAX-Aufnahme Wirecards übertreibt? Erst als sich im Laufe des Septembers eine Topbildung deutlich abzeichnete, kam laut Murphys Daten wieder Leben in die Shortseller-Gemeinde. Stichhaltig sind somit diese Äußerungen Murphys also nicht unbedingt.
Das alles muss nicht heißen, dass die Vorwürfe gegen Wirecard konstruiert sind und die „FT“ sich hat missbrauchen lassen, oder sogar konspirativ aktiv war. Aktuell lässt sich für Außenstehende schlicht und einfach nicht sicher sagen, wer hier im Recht ist – der Grund für den auch nach dem Shortseller-Bann weiter stark schwankenden Aktienkurs. Doch die Argumentation der „FT“ zu ihrer eigenen Verteidigung und der ihrer Autoren fällt an dieser Stelle überraschend dünn aus.