Deutsche Wirtschaft wächst kräftig in Q2 – Knappheiten bremsen Industrie - Nord LB
Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden hat heute Vormittag eine erste vorläufige Schätzung zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts im II. Quartal veröffentlicht. Demnach hat sich die deutsche Wirtschaft im Frühjahr von den Belastungen zum Jahresauftakt spürbar erholen können. Das preis-, saison- und kalenderbereinigte BIP legte um 1,5% gegenüber dem Vorquartal zu. Dies liegt jedoch unter den Schätzungen der zuvor von Bloomberg befragten Volkswirte und Analysten. Auch wir hatten der deutschen Wirtschaft eine noch stärkere Erholung im II. Quartal zugetraut.
Zugleich wurden mit der heutigen Veröffentlichung die historischen Werte teils deutlich revidiert, für das I. Quartal ergibt sich nun sogar ein Minus von -2,1% Q/Q. Damit konnte der Rücksetzer zum Jahresauftakt bis zur Jahresmitte noch nicht ganz wieder aufgeholt werden. Die BIP-Jahresrate macht dennoch einen großen Sprung auf 9,2% Y/Y. Allerdings geht dies natürlich maßgeblich auf einen Basiseffekt zurück, da hier mit dem Vorjahresquartal verglichen wird, in dem der größte je gemessene Einbruch der Wirtschaftsleistung (nach Revision nun -10,0% Q/Q) zu verzeichnen war.
Gemessen an den vorherigen Erwartungen sind die heute für Deutschland gemeldeten BIP-Zahlen durchaus eine negative Überraschung. Dabei waren die Voraussetzungen für einen noch schnelleren Aufholprozess durchaus gegeben. Mit rückläufigen Infektionszahlen und dem Ende des Lockdowns haben im Frühjahr vor allem die von der Pandemie besonders betroffenen Sektoren ihre wirtschaftliche Aktivität massiv steigern können. Nach Angaben der Statistiker trug neben den staatlichen Ausgaben dementsprechend vor allem der private Konsum zum Wachstum bei.
Allerdings wurde die Industrie, genauer gesagt die Produktion im verarbeitenden Gewerbe, durch Lieferengpässe und gestörte Wertschöpfungsketten ausgebremst. Vor allem im für die deutsche Wirtschaft so wichtigen Fahrzeugbau machten sich Knappheiten negativ bemerkbar, nach Angaben des VDA waren Halbleiter weiterhin ein gewichtiger Engpassfaktor. In der gesamten Industrie konnte die Produktion mit der zügig angesprungenen Nachfrage nicht mithalten, der Auftragsbestand kletterte auf ein Rekordniveau. Entsprechend stark wurden die Lager geräumt.
Der überraschende Rückgang des ifo-Geschäftsklimas im Juli ist durchaus als ein Warnsignal zu verstehen, dass die Risiken für die Konjunktur durch Knappheiten, aber auch durch die noch nicht überwundene Pandemie, nicht auf die leichte Schulter genommen werden dürfen. Gleichwohl ist der kurzfristige Ausblick bei aller Unsicherheit weiterhin sehr positiv, für das dritte Quartal zeichnet sich eine nochmalige Beschleunigung des wirtschaftlichen Aufholprozesses ab. Damit rückt dann auch das Vorkrisenniveau allmählich wieder in Reichweite. Für das Gesamtjahr 2021 rechnen wir mit einem kräftigen BIP-Wachstum von deutlich über 3%.
Fazit: Die deutsche Wirtschaft hat sich im Frühjahr zügig von den vorherigen Belastungen erholt. Das reale Bruttoinlandsprodukt legte kräftig um 1,5% gegenüber dem Vorquartal zu, bleibt aber etwas hinter den optimistischeren Erwartungen zurück. Die Jahresrate machte aufgrund eines Basiseffekts einen regelrechten Sprung auf 9,2% Y/Y. Weite Teile der Wirtschaft profitierten von den niedrigen Infektionszahlen und den Lockerungen der Eindämmungsmaßnahmen. Vor allem der private Konsum erholte sich von der coronabedingten Delle zum Jahresauftakt. Die Industrie hingegen wurde von Knappheiten ausgebremst, was die Stimmung ebenso belastet wie die Unsicherheit über den weiteren Pandemieverlauf. Dennoch stehen die Zeichen für eine nochmalige Beschleunigung des Aufholprozesses gut, wir rechnen mit einem BIP-Wachstum von über 3% für 2021. Die EZB wird ihrer vorsichtigen Haltung treu bleiben und dürfte trotz des Inflationsanstiegs im zweiten Halbjahr auch über den März 2022 hinaus mit kraftvollen QE-Maßnahmen die Erholung weiter stützen.