Vor dem Brexit-Showdown überwiegt (noch) die Skepsis - Nord LB Kolumne
Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim hat soeben die Ergebnisse seiner monatlichen Umfrage unter gut 200 Volkswirten, Analysten und Fondsmanagern veröffentlicht. Demnach verharrten die Konjunkturerwartungen annähernd auf dem Vormonatsniveau. Mit -22,8 Saldenpunkten befindet sich der wichtige Frühindikator weiterhin klar im negativen Bereich. Zugleich wird die aktuelle Lage von den Finanzmarktexperten wie erwartet erneut schlechter beurteilt. Die Zeitreihe sank um gut 5 Punkte auf -25,3 Saldenpunkte, was den niedrigsten Stand seit dem April 2010 markiert. Für die Eurozone ergibt sich ein ähnliches Bild. So fallen die Konjunkturerwartungen mit -23,5 Punkten ebenfalls nur marginal schlechter aus. Allerdings wurde hier die Lageeinschätzung um mehr als 10 auf -23,5 Saldenpunkte stärker korrigiert.
Mit der nochmaligen Abwärtskorrektur der Lageeinschätzung folgen die Finanzmarktexperten den bis zuletzt schwachen Konjunkturdaten, insbesondere aus dem verarbeitenden Gewerbe. In den vergangenen Monaten hat sich bestätigt, dass die anhaltenden Belastungsfaktoren Brexit und Handelskrieg zunehmend Bremseffekte in der Realwirtschaft nach sich ziehen. Deutschland ist als sehr industrie- und exportlastige Volkswirtschaft hiervon überproportional betroffen. Auch die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute und andere professionelle Prognostiker hatten zuletzt ihre Wachstumsprognosen für Deutschland und die Eurozone weiter gesenkt.
Die Stabilisierung der Erwartungen spricht zwar nicht für eine bevorstehende tiefe Rezession. Die kurzfristigen Konjunkturaussichten hängen aber nicht zuletzt von der weiteren Entwicklung im laufenden Brexit-Poker sowie im Handelskonflikt der USA mit China und anderen Volkswirtschaften ab. Hierzu kamen Ende der vergangenen Woche jeweils Meldungen, die zumindest an den Märkten positiven Widerhall fanden. So verkündete Donald Trump in seiner unnachahmlichen Art nicht weniger als den Durchbruch bei den Verhandlungen mit China auf dem Weg zu einem umfassenden Handelsdeal. Zugleich legte der britische Premier Boris Johnson Brüssel neue Vorschläge zur Lösung der Grenzfrage zwischen Irland und Nordirland im Rahmen des Brexit vor. Bei näherem Hinsehen bleiben jedoch bei beiden Themenkomplexen noch eine Vielzahl von Fragen offen. Zumindest erscheint aber eine weitere Verschärfung erst einmal als weniger wahrscheinlich als zuvor.
Der in den vergangenen Tagen an den Märkten vorherrschende Optimismus findet in der aktuellen ZEW-Umfrage noch keinen Niederschlag. Allerdings gab das ZEW auf Nachfrage an, dass die weit überwiegende Zahl der Umfrageteilnehmer ihre Antworten bereits bis zum Freitag abgegeben hatte. Der kurzfristige Konjunkturausblick bleibt somit vorerst eingetrübt. In den kommenden Tagen erwartet uns ein regelrechter Showdown beim Brexit. Zudem sind die Handelskonflikte der USA noch nicht beigelegt, sondern könnten an der einen oder anderen Stelle wieder aufflammen. Für Deutschland bleiben wir daher bei unserer vorsichtigen Wachstumsprognose von 0,5% für dieses und 0,8% im kommenden Jahr, wobei die Risiken derzeit eher abwärts gerichtet sind.
Fazit: Die ZEW-Konjunkturerwartungen für Deutschland und die Eurozone haben sich im Oktober marginal abgeschwächt. Dies muss jedoch vor dem Hintergrund einer nochmals deutlich schlechteren Lageeinschätzung der befragten Finanzmarktexperten gesehen werden, was den anhaltend schwachen Konjunkturdaten der vergangenen Monate folgt. Insbesondere aus der deutschen Industrie kamen bis zuletzt dämpfende Signale. Der in den vergangenen Tagen an den Märkten vorherrschende Optimismus – ausgelöst durch positive Meldungen zum Handelskrieg und zum Brexit – findet in der aktuellen ZEW-Umfrage noch keinen Niederschlag. Ein echter Durchbruch bei beiden großen Konjunkturrisiken hätte sicher ein großes Potenzial, eine nachhaltige Stimmungsaufhellung auszulösen.