BIP: Die volle Wucht der Coronakrise in Q2 – Jahrhundertrezession - Nord LB Kolumne
Die europäische Statistikbehörde Eurostat hat heute ihre erste Schätzung zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in der Eurozone im zweiten Quartal veröffentlicht. Wie erwartet hat die Coronakrise einen historischen Einbruch der realen Wirtschaftsleistung verursacht. Das preis- und saisonbereinigte Bruttoinlandsprodukt ist im Vergleich zum Vorquartal um -12,1% regelrecht abgestürzt, die Jahresrate sackte auf -15,0% Y/Y ab. Die heutigen Zahlen liegen mehr oder weniger im Rahmen der Erwartungen, nachdem bereits gestern einige Länder katastrophale BIP-Zahlen veröffentlicht hatten. Dabei sind Deutschland (-10,1% Q/Q) und Österreich (-10,7% Q/Q) sogar noch vergleichsweise besser durch die Krise gekommen als der Rest Europas. Die Aktienmärkte starteten heute wieder etwas freundlicher in den Tag, nachdem gestern die katastrophalen Wirtschaftsdaten erst einmal verdaut werden mussten.
Im zweiten Quartal ging das BIP in der Währungsunion damit so stark zurück wie noch nie zuvor. Auf Basis der bislang veröffentlichten Länderdaten lässt sich festhalten, dass alle Volkswirtschaften mehr oder weniger hart getroffen wurden. Allerdings sind die wirtschaftlichen Belastungen auch im Frühjahr in der Tendenz besonders hoch in den Mitgliedsländern, die schwere Pandemieverläufe verzeichneten. Dies gilt besonders für Italien (-12,4% Q/Q), Frankreich (-13,8%) und Spanien (-18,5%). Es wäre aber sicher zu einfach, dies auf das Ausmaß staatlich administrierter Eindämmungsmaßnahmen zurückführen zu wollen, schließlich passen bei besonders hoher Infektionsgefahr die Menschen ihr Verhalten auch freiwillig an.
Die gute Nachricht ist, dass praktisch in allen Staaten der Eurozone bereits im Verlauf des zweiten Quartals der konjunkturelle Tiefpunkt durchschritten wurde und in den Monaten Mai und Juni eine Erholungsphase eingesetzt hat. Sinkende Infektionszahlen hatten sukzessive wieder mehr wirtschaftliche Aktivität zugelassen. Wir rechnen für das dritte Quartal daher mit einer kräftigen Erholung um ca. 7% Q/Q.
Für das Gesamtjahr 2020 halten wir aber an unserer Prognose fest, wonach das BIP der Eurozone um fast 9% gegenüber dem Vorjahr schrumpfen wird. Dies ist mit Abstand die schwerste Rezession der Nachkriegszeit für Europa, eine Jahrhundertrezession. Um die Frage zu beantworten, wann zuletzt die wirtschaftliche Aktivität in einem Quartal so niedrig war, muss man gut 15 Jahre zurückgehen. Auch bei einem günstigen Verlauf der Pandemie wird es gut zwei Jahre dauern, bis das Vorkrisenniveau wieder erreicht wird. Das EU-Finanzpaket ist angesichts der Tiefe der Krise sicher nicht zu groß bemessen. Auf die EZB wird der Druck schon bald wieder zunehmen, noch einmal nachzulegen. Wir rechnen mit einer weiteren Ausweitung des Ankaufprogramms PEPP, die Zinsen bleiben extrem niedrig. Die Coronakrise wird ökonomisch nachhallen und die europäische Wirtschaft länger auf Unterstützung angewiesen sein als Optimisten zuletzt gehofft hatten.
Fazit: Die Wirtschaft der Eurozone wurde im Frühjahr von der vollen Wucht der Coronakrise getroffen. Im zweiten Quartal ist das reale Bruttoinlandsprodukt um -12,1% gegenüber dem Vorquartal geschrumpft. Die Pandemie hat eine Jahrhundertrezession ausgelöst, die selbst bei einem günstigen weiteren Verlauf des Infektionsgeschehens noch Jahre nachwirken wird. Im Gesamtjahr 2020 erwarten wir für die Eurozone einen Einbruch der realen Wirtschaftsleistung um fast 9% zum Vorjahr. Es gibt aber auch gute Nachrichten: Geld- und Fiskalpolitik haben sehr klug und beherzt reagiert und damit Fehler wie nach der großen Depression Anfang der 1930er Jahre verhindert. Und wenn die Pandemie unter Kontrolle ist, findet schlagartig wieder mehr wirtschaftliche Aktivität statt. Dies ist aktuell zu beobachten und wird zu einer kräftigen Erholung im laufenden Quartal führen. Zugleich ist es eine Mahnung, dass auch aus ökonomischer Sicht ein erneuter Verlust der Kontrolle über das Infektionsgeschehen dringend vermieden werden muss.