Nord LB – Chinas Zentralbank betätigt erstmals seit Finanzkrise zwei Hebel gleichzeitig
Chinas konjunkturelle Dynamik bewegt sich weiter an Pekings Schmerzgrenze. Darauf deuten zumindest die jüngsten Entscheidungen der chinesischen Zentralbank hin. Bereits am Samstag hat sich die People’s Bank of China (PBOC) zu einem weiteren Zinsschritt veranlasst gesehen. Wirklich durchringen musste man sich in Peking dazu nach unserer Einschätzung nicht.
Gleichwohl wären wir von der Absenkung der einjährigen Einlage- und Kreditzinsen um jeweils 25 Basispunkte erst im Juli ausgegangen und hätten eher mit einer neuerlichen Reduzierung der Mindestreserveanforderungen gerechnet. Und auch hier sind die Zentralbanker nicht untätig gewesen. So wurden neben den Zinssenkungen auch gezielte Lockerungen bei den Mindestreserven beschlossen. Peking fokussiert bei der Absenkung um 50 Basispunkte einmal mehr auf die Kreditinstitute, die kleine und mittelgroße Unternehmen bzw. Agrarbetriebe finanzieren. Darüber hinaus erhielten Finanzunternehmen eine gezielte Lockerung um 300 Basispunkte.
In Bezug auf den Zinsschritt waren wir davon ausgegangen, dass die PBOC vorerst auf die Ergebnisse der einschlägigen Konjunkturindikatoren für den Berichtsmonat Juli bzw. für das II. Quartal warten würde. Nicht zuletzt aufgrund der zurückhaltenden Preisentwicklung und zu dezenten Kreditnachfrage war die Wahrscheinlichkeit für einen Zinsschritt allerdings als extrem hoch einzustufen. So bleibt hier unseres Erachtens nur mit Blick auf das Timing ein gewisser Überraschungseffekt. Unerwartet kam allerdings die Entscheidung, erstmals seit der Finanzkrise 2008 sowohl Leitzinsen als auch Mindestreserveanforderungen am gleichen Tag zu senken – dies muss ohne Umschweife als drastische Maßnahme gewertet werden.
Die Ankündigungen vom vergangenen Samstag können auch mit den aktuellen Entwicklungen am chinesischen Aktienmarkt in Verbindung gebracht werden. Die starken Kursrückgänge der vergangenen Wochen drohen demnach über Vermögenseffekte zu realwirtschaftlichen Nachfrageausfällen zu führen. Am chinesischen Aktienmarkt konnte die PBOC die Stimmung somit noch nicht nachhaltig drehen: Der Shanghai Composite startete jedoch erneut mit Verlusten in die neue Handelswoche.
Mit Blick auf das vordergründige Ziel, mehr Finanzierungsfreiräume zu schaffen, sind hingegen durchaus Erfolge auszumachen. Am Interbankenmarkt verzeichnete die Siebentages Repo Rate heute signifikante Rückgänge. Die Auswirkungen auf die Kreditvergabe gilt es hingegen noch abzuwarten. Nachdem diese in der jüngeren Vergangenheit nur zögerlich auf die Lockerungen angesprungen ist, würden wir davon ausgehen, dass in der zweiten Jahreshälfte noch mindestens eine Zinssenkung folgen dürfte. Wir rechnen mit einem weiteren Schritt im III. Quartal 2015. Senkungen der Mindestreserveanforderungen dürften nach unserer Einschätzung vorerst monatlich erfolgen und sich auf 250 bis 300 Basispunkte belaufen.
Fazit: Erstmals seit der Finanzkrise 2008 fallen Zins- und Mindestreservesenkungen auf den gleichen Tag. Wir werten das als beherztes Eingreifen der PBOC. Der Ausverkauf am Aktienmarkt dürfte hier sogar eine Nebenrolle gespielt haben. In Pekings Fokus stehen aber nach unserer Einschätzung nach wie vor die Kreditvergabe im Reich der Mitte sowie die Liquiditätsausstattung des Bankensektors. Wir gehen davon aus, dass dieses Jahr noch mindestens einmal an der Zinsschraube gedreht wird.