Nord LB – BIP Großbritannien: Verschiebt sich nun die Zinswende oder nicht?
Am heutigen Morgen blickten insbesondere die an der Erholung der britischen Volkswirtschaft interessierten Marktteilnehmer nach London. Dort wurde um 10:30 Uhr die erste Vorausschätzung zum BIP-Wachstum im III. Quartal vom Office for National Statistics bekannt gegeben. Nach 0,9% Q/Q im Vorquartal hatten wir immer noch starke 0,6% Q/Q prognostiziert, während der Analystenkonsens einen Zehntelprozentpunkt optimistischer war.
Diese Schätzung (+0,7% Q/Q bzw. 3,0% Y/Y) sollte sich als Punktlandung herausstellen. Damit kam es seit dem volkswirtschaftlichen Absturz 2008 mittlerweile zur Expansion im siebten (!) aufeinander folgenden Quartal. Warum ist das überhaupt relevant?
Zum einen gehört Großbritannien zu den G8-Staaten und steht folglich per se im Fokus. Zum anderen gibt keine andere G8-Nation so früh Einblick in sein voraussichtliches und vollständiges Quartalswachstum wie die Briten. Kanada veröffentlicht zwar monatliche BIP-Daten, kommende Woche allerdings erst die Daten für August. Zu guter Letzt war die Bank of England in den vergangenen Monaten großer Favorit auf die erste Zinswende – und somit noch vor der Federal Reserve. Die Briten fristen zwar ein Inseldasein, können sich aber weder von ihrem größten Handelspartner – der schwächelnden Eurozone – noch der etwas schwächeren Weltwirtschaft lossagen. Spätestens im November wird mit der Pressekonferenz zur Veröffentlichung des Inflation Reports klarer, ob die Zinswende tatsächlich im Februar 2015 wie bisher von uns erwartet kommt. Die Chancen dafür werden derzeit am Markt mit „später“ gehandelt.
So oder so scheint 2014 volkswirtschaftlich das Jahr der Briten zu werden: Durch das von uns erwartete stärkste BIP-Wachstum unter den Industrienationen (unsere Prognose: 2,9% im Gesamtjahr) zahlen sich die Bemühungen der Koalitionsregierung gepaart mit billigem Geld seitens der Bank of England langsam aber sicher aus. Den Sparkurs haben Schatzkanzler Osborne und Co. im September allerdings erneut vernachlässigt und ein größeres Defizit angehäuft als zu erwarten war. Dazu gesellen sich weitere EUR 2,13 Mrd. an die EU binnen Wochen – quasi als Strafzahlung für zu rosiges Wachstum im Vergleich zu Deutschland und Frankreich.
Während eben diese Handelspartner schwächeln, was den Briten Sorgenfalten bezüglich ihres zarten Wachstumspflänzchens bereitet, können zwei PMIs ebenfalls nicht überzeugen: Wenngleich das Bauwesen weiter äußerst positiv gestimmt ist (64,2 Punkte), präsentierte sich die stagnierende Industrie (51,6) deutlich mittelmäßiger als der zuletzt nachgebende Dienstleistungssektor (58,7). Zudem können weder der Nominallohnzuwachs (im August +0,7% Y/Y) noch die Reallöhne überzeugen. Bei einer Inflationsrate im August in Höhe von 1,5% Y/Y sowie im September mit 1,2% Y/Y ist immerhin eine gewisse disinflationäre Tendenz zu verzeichnen. • Auch in den kommenden Monaten gehen wir von keinem übermäßigen Lohnzuwachs aus. Das starke Pfund Sterling drückt jedoch die Importkosten und somit die Inflationsrate. Anderseits ächzen insbesondere exportierende Wirtschaftszweige unter der stärkeren Währung.
Fazit: Die heutigen BIP-Zahlen lagen im Rahmen der Konsenserwartungen, wir waren leicht pessimistischer gestimmt. Daher sehen wir auch keinen Grund, schon vor der Pressekonferenz im November zum Inflation Report unsere prognostizierte Zinswende für Februar weiter ins Jahr 2015 zu verschieben. Die positiven Rahmendaten sprechen für ein baldiges Anziehen der Zügel seitens der BoE. Natürlich verkennen wir keineswegs die aufgezeigten Faktoren, die das Potenzial haben, die aktuell zu beobachtende Wachstumsstory zu gefährden.