Nord LB – Schottland: Bravehearts nicht tapfer genug… Oder „nur“ vernünftig?
Um Haaresbreite wäre nach dem Ende des britischen Empire 1997 nun auch noch fast das Vereinigte Königreich auseinander gebrochen: Mit 55% zu 45% hat sich die Mehrheit der Wahlberechtigten in Schottland für einen Verbleib im Königreich ausgesprochen. Sind die Bravehearts doch nicht tapfer genug gewesen oder letztlich auf der Zielgeraden zur Vernunft zurückgekehrt? Bei vielen dürfte das Herz „Ja“, aber der Kopf „Nein“ gesagt haben.
David Cameron trat bereits um 7 Uhr in der Früh (Londoner Zeit) vor die 10 Downing Street und gratulierte seinen Mitstreitern (und sich) zu diesem – aus ihrer Sicht – Wahlerfolg. Zugleich versprach er nicht nur Schottland mehr Autonomie in wichtigen innenpolitischen Fragen bezüglich der Sozialsysteme, Steuerfragen und mit Blick auf Haushaltsbudgets. Sondern er avisierte mehr Autonomie auch für England, Wales und Nordirland, wenn es um ihre Belange gehe.
Mehr als 4 Mio. wahlberechtigte Schotten ab 16 Jahren sorgten für die höchste jemals in Schottland erzielte Wahlbeteiligung. Bei den britischen Unterhauswahlen im Mai 2015 werden viele schottische Erstwähler dann wiederum nicht stimmberechtigt sein, denn dann wird (wie üblich) die Altersschwelle von 18 Jahren gelten. In Glasgow war die Wahlbeteiligung mit 75% weit höher als sonst, aber geringer als erwartet. Was hatte das fehlende Viertel Besseres zu tun am gestrigen Tag?
In einem Punkt mag Premier Cameron sich jedoch irren: Er sagte, das Thema sei damit mindestens für eine Generation vom Tisch. Da sollte er sich jedoch nicht zu sicher sein bei einer so knappen Mehrheit und den Bestrebungen in Katalonien, im Baskenland, in Flandern oder wo auch immer. Galt Schottland bis gestern als Vorreiter und Hoffnungsschimmer für alle Separatisten, mag es in ein paar Jahren andersherum sein und die Bravehearts wieder Lunte aufnehmen, sollte ein anderer Part Europas dann den Vorreiter spielen.
Eine eigene schottische Währung wäre von Spekulanten attackiert worden
Viele offene Fragen hätten in den kommenden 18 Monaten gelöst werden müssen: Mit einer eigenständigen Währung wäre Schottland eventuell gescheitert, weil Spekulanten ab Tag 1 des freien Handels gegen diese wie auch immer genannte Devise spekuliert hätten – sozusagen Soros reloaded. Auch wird Großbritannien nicht zu Kleinengland und verkommt zu einem atomwaffenfreien zahnlosen Tiger in der Nato oder im UN-Sicherheitsrat.
Das Pfund konnte im Laufe der Nacht bis auf 0,78102 GBP zum Euro aufwerten. Gegenüber dem Greenback notiert Sterling wieder nahe bei 1,65 USD. Kurse in Richtung 1,70 USD rücken nach dem Referendum wieder in den Bereich des Möglichen. Das Vereinigte Königreich kann sich weiter stark am Finanzmarkt behaupten. Auch der Aktienmarkt reagierte freundlich. Während der Nikkei deutlich im Plus schloss, eröffnete der FTSE100 rund 0,7% höher. Auch der deutsche Aktienindex reagierte freundlich und startete fester in den heutigen Handel. Wieder einmal wird klar: Die vielzitierten Märkte mögen keine Unsicherheit – und feiern das „No“!
Fazit: Die Würfel sind gefallen – waren die Bravehearts letztlich nicht tapfer genug? Bei vielen dürfte das Herz „Ja“, aber der Kopf „Nein“ gesagt haben. Möglich, dass einige Wähler auf der Zielgeraden zur Vernunft zurückgekehrt sind. Premier David Cameron präsentierte sich stolz und sein Herz wurde nicht gebrochen. Nach den bisherigen Zugeständnissen im Zuge der Verhandlungen legt er vor 10 Downing Street noch einmal in einer Livepressekonferenz nach: Die Devolution, also die Übertragung administrativer Unabhängigkeit, werde weitere Kreise ziehen. So sollen neben den Schotten auch die Engländer, Waliser und Nordiren mehr Autonomie in Steuerfragen, im Sozialsystem und mit Blick auf den Staatshaushalt erhalten. Das Pfund wertete in der Nacht weiter auf. Gestern wurde bereits am Devisenmarkt ein „No“ antizipiert.