Der DAX „Crash“ und die Ukraine-Krise: Was ist Wahrheit, was Propaganda?
Am Freitag, im XETRA-Handel bereiteten sich die Börsianer bereits langsam auf das Wochenende vor, fuhr den Anlegern gehörig der Schreck in die Glieder. Schuld daran waren Nachrichten zur Ukraine-Krise, die eine Besorgnis erregende Verschärfung der Lage andeuteten. Erstmals soll es zu Gefechten zwischen russischen und ukrainischen Truppen gekommen sein. Die Regierung und die Streitkräfte der Ukraine ließen wissen, man habe per Artillerie einen russischen Militärkonvoi zu großen Teilen zerstört, der in das Land eingedrungen sei. Die Nachricht verbreitete sich in Windeseile, der DAX ging nach dieser Meldung auf Tauchstation, die Angst vor einem Krieg zwischen den beiden Ländern wuchs plötzlich deutlich.
Doch seitdem ist vieles über diese Vorkommnisse, die den DAX und andere Indizes so unter Druck brachten, unklar geblieben und die Lage völlig unübersichtlich. Bestätigungen des Gefechts von unabhängiger Seite sind Fehlanzeige. Ob es wirklich russische Soldaten der regulären Armee waren, die die Grenze überschritten, ist unbekannt. Erstaunlich ist zudem, dass bisher sichtbare Beweise für das Gefecht fehlen, obwohl die Ukraine ein Interesse daran haben müsste, der Welt die russische Verstrickung in den Konflikt vor Augen zu führen. Bilder zum Beispiel zerstörter russischer Militärfahrzeuge aus diesem angeblich attackierten Konvoi existieren dennoch nicht.
Ukraine-Krise: Stochern im (Des-)Informations-Nebel
Das irritiert insbesondere, weil diese Krise in der Ukraine ganz besonders von gezielten Desinformationen und Propaganda begleitet wird – von allen beteiligten Seiten über alle möglichen Kanäle. Reihenweise haben sich Informationen, die lanciert wurden, als falsch entpuppt. Dabei setzte man schon oft auf die Macht der Bilder, vielfach gefälschter Bilder. Auch über Social-Media-Kanäle wie Twitter, wo sonst viele – auch extrem zweifelhafte – Informationen auflaufen, war nichts zu sehen. Russland dementiert die Aussagen der Ukrainer – wenig überraschend.
Ausgerechnet hier aber fehlen bisher überzeugende Beweise der russischen Verstrickung in die militärischen Auseinandersetzungen in der Ukraine. So bleiben, wie schon in vielen anderen Fällen während der Ukraine-Krise, enorme Zweifel an den tatsächlichen Geschehnissen vor Ort. Fest steht, dass britische Journalisten in der Nacht einen Militärkonvoi mit mehr als 20 Fahrzeugen russischer Herkunft beim Grenzübertritt ausgemacht haben. Immer wieder werden, unter anderem von Journalisten, Bilder russischer Militärfahrzeuge unterschiedlichsten Typs veröffentlicht, die in der Ukraine gesichtet wurden. Das seien tägliche Provokationen, heißt es von der ukrainischen Seite. Moskau hat stets dementiert, dass man bei solchen Vorkommnissen im Hintergrund die Fäden zieht und sprach von möglichen Freiwilligen, die sich den Separatisten in der Ukraine anschließen. Allerdings werden immer wieder russische Truppenbewegungen unweit der ukrainischen Grenze auf russischem Territorium beobachtet.
Gespräche in Berlin zwischen Russland und der Ukraine
Von Seiten der Separatisten dagegen wird mittlerweile nicht mal mehr verschwiegen, dass es Hilfe aus Russland gibt: Panzer, Fahrzeuge, Kämpfer – ernsthaft daran zu zweifeln war trotz aller Moskauer Dementis ohnehin nicht mehr. Die Angst in Kiew vor weiterer russischer Unterstützung der Rebellen sorgt für die Unstimmigkeiten rund um einen 280 LKW starken russischen Konvoi für die Ukraine. Viele Lastwagen mit Hilfsgütern sollen nur spärlich beladen sein, heißt es von Journalisten, die einige Lastwagen aus dem Konvoi besichtigen konnten. Der unbewiesene Verdacht liegt nahe, dass hier Teile der Ladung vor der Inspektion durch Journalisten beiseite geschafft wurden. Zum Abbau von Misstrauen und Unsicherheiten hat das nicht gerade beigetragen. Moskaus Geheimniskrämerei um den Konvoi stößt ohnehin nicht nur bei Journalisten auf Kritik. Bemängelt wurde unter anderem, dass Moskau den Konvoi nicht von Anfang an von unabhängigen Journalisten oder dem Roten Kreuz beobachten und begleiten ließ.
Die russischen Militäraktivitäten an der ukrainischen Grenze dürften ebenso wie die der umstrittene russische Ukraine-Konvoi sowie die ukrainische Bitte um Militärhilfe an die NATO daher auch ein beherrschendes Thema bleiben, für die Börse wie insbesondere bei den heutigen Gesprächen in Berlin zwischen den Außenminister Russlands, Sergej Lawrow, und der Ukraine, Pawlo Klimkin, der zuvor Botschafter der Ukraine in Deutschland war. Die Gespräche werden als enorm schwierig eingestuft. Vermitteln wollen Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und der französische Außenminister Laurent Fabius. Der Ausgang dieser Gespräche wird am Montag auf die Börse Einfluss nehmen.
DAX: Die Börse bleibt hoch nervös
Dass die Nervosität am Markt enorm ist, war an der fast schon hysterischen Reaktion am Freitag zu sehen. Dass weiter Unklarheit über das herrscht, was in der Ukraine tatsächlich passiert, belastet den Markt. Börsianer drücken lieber einmal zu viel auf den Verkaufsknopf als einmal zu wenig – insbesondere wenn man sich mit unklaren Situationen konfrontiert sieht. So auch am Freitag: Der XETRA-DAX ging mit 9.092 Punkten ins Wochenende, im Handelsverlauf fiel der Index von 9.324 Punkten auf bis zu 9.067 Zähler.
Die Nachrichten aus der Ukraine kamen am Freitag ohnehin in einen Markt, den man nach der jüngsten Hausse technisch als angeschlagen bezeichnen muss. Vom Allzeithoch knapp über der 10.000er-Marke war der DAX seit Anfang Juli bis 8.903 Punkte gefallen, die am 8. August erreicht wurden. Nur knapp konnte an diesem Tag eine charttechnische Unterstützung bei 8.913 Punkten gehalten werden. Die anschließende Erholungsbewegung wurde dann im späten XETRA-Handel am Freitag zu großen Teilen wieder zunichte gemacht.