EZB lässt „Easing Bias“ zu den Leitzinsen fallen - Nord LB Kolumne
Wie erwartet hat die Europäische Zentralbank (EZB) auf ihrer heutigen Ratssitzung in Tallinn keine Änderungen an ihrer Geldpolitik beschlossen. Die Leitzinsen bleiben auf ihren historischen Tiefstwerten und auch das Anleiheankaufprogramm (EAPP) wird im bestehenden Umfang von monatlich EUR 60 Mrd. mindestens bis Ende 2017 fortgesetzt. Allerdings nahm die Notenbank zugleich Änderungen an ihrer Forward Guidance vor und ließ dabei den „Easing Bias“ zu den Leitzinsen fallen. Mit dieser rhetorischen Anpassung in Richtung einer Abwendung von weiteren Zinssenkungen war von den meisten Marktteilnehmern zumindest für die heutige Sitzung nicht gerechnet worden.
Auf der sich an die Sitzung anschließenden Pressekonferenz präsentierte der Ratsvorsitzende Mario Draghi die aktualisierten Projektionen zur Preis- und Konjunkturentwicklung. Die Wachstumsdynamik in der Eurozone wird nun stärker eingeschätzt und die Risiken für die wirtschaftlichen Perspektiven wurden erstmals wieder als weitgehend ausgeglichen bezeichnet. Anders als noch im März gehen die Volkswirte der EZB jetzt von einem jährlichen Anstieg der Lebenshaltungskosten um 1,5% in diesem Jahr und von nur noch 1,3% bzw. 1,6% in den Jahren 2018 und 2019 aus. Die Inflationsprognose wurde damit nach unten revidiert und der zugrundeliegende Preisdruck zugleich als weiterhin gedämpft bezeichnet. Der Preisanstieg bleibt also in dieser Projektion bis auf weiteres unterhalb der Zielmarke von nahe 2%, Deflationsrisiken haben sich nach Ansicht der EZB aber verflüchtigt. An der Legitimation einer akkommodierenden Geldpolitik hat sich aus diesem Blickwinkel wenig geändert.
Auf dieser Grundlage hat die Notenbank die Forward Guidance zur zukünftigen Leitzinspolitik verändert. Demnach erwartet der Rat für einen ausgedehnten Zeitraum ein Verharren der Leitzinsen auf dem aktuellen, aber eben nicht mehr auf einem noch niedrigeren Niveau. Allerdings behält sich die EZB vor, das Anleiheankaufprogramm im Bedarfsfall hinsichtlich seiner Dauer und/oder seines Umfangs auszuweiten. Hier bleibt der „Easing Bias“ also vorerst bestehen. Dieser Kompromiss unterstreicht die sehr vorsichtige Gangart bei der früher oder später notwendigen Hinwendung zu einer perspektivisch wieder neutraleren Geldpolitik.
Draghi erklärte auf Nachfrage, die Anpassung der Forward Guidance sei von allen Ratsmitgliedern unterstützt worden, er habe jedenfalls keinen Dissens gehört. Die nun nicht mehr lange hinauszuzögernden Überlegungen zu einem Tapering des Ankaufprogramms sind nach Draghis Erläuterungen allerdings heute gar nicht diskutiert worden. Das wird sich in den nächsten Sitzungen ändern müssen.
Der vielleicht ein ganz klein wenig forschere, aber weiter betont graduelle Anpassungspfad bestätigt unsere Prognose, wonach die EZB bis in das Jahr 2019 hinein an ihrer Niedrigzinspolitik festhalten wird. Sofern keine unvorhersehbaren Friktionen auftreten, wird die Notenbank allerdings zum Jahresbeginn 2018 mit dem schrittweisen Herunterfahren ihres Ankaufprogramms beginnen müssen. Informationen zu der operativen Umsetzung könnten schon auf einer der nächsten Ratssitzungen auf dem Programm stehen.
Fazit: Wie erwartet hat die EZB auf ihrer heutigen Ratssitzung in Tallinn keine Änderungen an ihrer Geldpolitik beschlossen. Allerdings hat die Notenbank die Forward Guidance zur zukünftigen Leitzinspolitik angepasst. Demnach erwartet der Rat für einen ausgedehnten Zeitraum ein Verharren der Leitzinsen auf dem aktuellen, aber eben nicht mehr auf einem noch niedrigeren Niveau. Der „Easing Bias“ mit Blick auf das Ankaufprogramm bleibt aber vorerst bestehen. Der vielleicht ein ganz klein wenig forschere, aber weiter betont graduelle Anpassungspfad bestätigt unsere Prognose, wonach die EZB bis in das Jahr 2019 hinein an ihrer Niedrigzinspolitik festhalten, zum Jahresbeginn 2018 aber schon ein Tapering beim EAPP einleiten wird.